piwik no script img

Archiv-Artikel

Auf der Suche nach sich selbst

Die Berliner SPD wird in den nächsten Jahren um fast ein Drittel schrumpfen. Landeschef Peter Strieder antwortet mit einer Strukturreform. Zu kritischen offenen Briefen von Parteilinken bleibt er hingegen stumm. Das ärgert die, und sie treten aus

von STEFAN ALBERTI

Es war einmal eine Partei, die hieß SPD. Die hatte nicht nur ein ambitioniertes Programm, die hockte auch sonst zusammen. Da trafen sich die Genossen nicht nur zur Abteilungsversammlung, sondern feierten auch am Wochenende. Und regelmäßig kam der Kassierer vorbei, kriegte neben den Beiträgen manchmal noch einen Kaffee und band Mitglieder, die sich sonst nicht erreichen ließen.

Die Partei heißt auch im Spätsommer 2003 noch SPD. Doch vorbei ist die Zeit, in der sie Rundumprogramm war, meint Peter Strieder, der Landesvorsitzende, der selbst mal in Kreuzberg kassiert hat. Man habe diese Leute nicht mehr, die ehrenamtlich durch den Kiez ziehen, oft mehrfach vorbeischauen mussten, bis der Beitrag im Sack war. Und zu vielschichtig seien die Angebote heute, als dass sich die Freizeitgestaltung auf die Partei konzentrieren würde.

Eine allgemeine Entwicklung ist das, die sich in Parteien genauso zeige wie in Vereinen. Eine unaufhaltbare? „Man darf sich die Welt nicht so malen, wie man sie gern hätte, sondern muss sie nehmen, wie sie ist.“ Die karriereorientiere Generation Golf sei nicht mehr die, die in eine Partei geht, sagt Strieder.

Ändern soll sich die SPD deshalb. Umstrukturieren will er, die Geschäftsführung in der Landeszentrale in Wedding zusammenfassen, geschrumpfte Ortsvereine zusammenlegen. Im Oktober will der Vorstand darüber entscheiden. Als Hauptstadtpartei soll die SPD wahrgenommen werden, nicht als Sammlung von zwölf Kreisverbänden.

18.300 Mitglieder haben die Berliner Sozialdemokraten zurzeit. Gerade mal 160 davon sind unter 20 Jahre. Der Altersdurchschnitt liegt bei 51. 5.000 Mitglieder wird die Partei deshalb bis 2010 nach eigener Schätzung vor allem wegen der demografischen Entwicklung verlieren. Schlicht gesagt: Rund jeder vierte Genosse stirbt bis dahin. Andere Mitglieder geben bewusst ihr Parteibuch ab. 404 erklärten im ersten Halbjahr 2003 ihren Austritt, 251 traten neu ein.

Das ist der Hintergrund, vor dem auch der Berliner Landesverband über den Begriff „demokratischer Sozialismus“ diskutiert. Auf Seite 12 des SPD-Grundsatzprogramms steht er unter „Grundlagen unserer Politik“, Generalsekretär Olaf Scholz will ihn in einer Neufassung beim Bundesparteitag im November wegfallen lassen. „Nur geringe Aussagequalität“ misst er dem Begriff bei und stößt damit auf heftige Kritik. Scholz wolle der SPD ihre Geschichte klauen, heißt es auf Bundesebene.

Für Landeschef Strieder ist das eine Debatte, „die nicht den Kern trifft und deshalb überflüssig ist“. Im Zentrum von Gerechtigkeit stehe „das Verteilen von materiellen Gütern“. Um Zugang zu Bildung gehe es, um Generationengerechtigkeit, um Nachhaltigkeit. „Wenn man all das beantwortet hat, dann kann man die Frage klären: Ist das noch demokratischer Sozialismus?“

Anders hört sich das bei Hans-Georg Lorenz an, Spandauer Abgeordneter und für viele in der SPD einer der letzten aufrechten Linken. Demokratischer Sozialismus? Am Fall Bielka merke man doch, dass „jedes Gefühl weg ist für das, was mal Sozialdemokratie ausmachte“. Der „Fall Bielka“, das ist die Posse um den Nochfinanzstaatssekretär und Neuköllner SPD-Chef, der als Aufsichtsratschef einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo höhere Vorstandsbezüge abnickte und nun selbst dort Chef wird. Zwei Welten macht Lorenz aus, die nicht kompatibel seien.

Tatsächlich sind die Verhältnisse in Berlin längst durcheinander geraten. Die SPD, die soziale Gerechtigkeit wie eine Monstranz vor sich hertrug, muss sich von Parteien kritisieren lassen, in denen soziale Kälte sonst zu Hause schien. „Familienfeindlich“, tönt die CDU-Fraktion zu den vom rot-roten Senat beschlossenen höheren Kitagebühren, eine „soziale Entmischung“ prangert die FDP an.

Lorenz, ein kräftiger 60-jähriger Anwalt, oft im Dreiteiler, ist einer, der noch Sätze schreibt wie: „Der Kampf gegen einen Kapitalistenstaat ist nicht etwa verfassungswidrig, sondern verfassungsgemäß.“ Einer, der SPD-Verstrickung in den Bankenskandal aufdecken will, der Privatisierung ein „Verramschen öffentlicher Betriebe“ nennt.

In dieser Woche hat Lorenz mit anderen Spitzen des linken „Donnerstagskreises“ seine jüngste Kritik in einem offenen Brief an 1.000 Mitglieder und Parteichef Strieder geschickt. Die Berliner meinten zunehmend, dass die SPD ihren Hoffnungen nicht gerecht wird, schreibt Lorenz darin. Das beantwortet für ihn die Frage, warum eine sieche CDU in Umfragen vor der SPD liegen kann. Strieders Sprecher Hannes Hönemann lässt ausrichten, der Parteichef kommentiere offene Briefe nicht.

Schon vor einem Jahr urteilte Lorenz: „Die SPD-PDS-Koalition treibt eine Politik, deren soziale Kälte nur noch durch die Brutalität des Auftretens und der Ausdrucksweise der handelnden Personen übertroffen wird.“ Doch wen kann er damit treffen, wenn sich in der jüngsten Parlamentsdebatte die SPD-Chefhaushälterin eine ähnliche Einschätzung vom rot-roten Sparkurs zu Eigen machte: „Ungewöhnlich entschlossen und manchmal brutal, aber auch mutig und erfrischend unkonventionell.“

Interessanterweise ist Lorenz keine Persona non grata bei den Parteirechten. Mit dem Neuköllner SPD-Vize und Abgeordneten Fritz Felgentreu, Mitglied im konservativen Britzer Kreis, veröffentlichte er eine historische Abhandlung über „Kapitalismus und Kapitalistenstaaten“.

Während der Parteichef sich zu LorenzÄ Kritik nicht äußern mag, sind nach den 404 Austritten im ersten Halbjahr weitere Genossen auf dem Absprung: Dolf Straub etwa, seit 43 Jahren bei den Sozialdemokraten eingeschrieben. Mehr als zwei Drittel seines bisherigen Lebens sind das, Jusochef war er in jungen Jahren – jetzt soll Schluss sein. „Täglich neue öffentliche Zumutungen“ sieht Straub, vorrangig die Einschnitte der Agenda 2010, aber auch Berliner Vorkommnisse wie eben den Fall Bielka.

Eigentlich wollte Straub in der SPD bleiben, nachdem er sich im März in letzter Instanz gegen einen von Strieder angestrebten Parteiausschluss wehren konnte. Schließlich sei von außen noch weniger Einfluss zu nehmen als von innen. Seine Parteifreundin Irmtraud Schlosser, die Strieder auch loswerden wollte, urteilte schon damals: „Das ist nicht mehr meine SPD.“