: Penner im Praktikum
In einem Pilotprojekt bilden Hamburger Behörden Arbeitslose zur Straßenfachkraft aus
Am Anfang stand ein Versprechen: „In sieben Wochen zur Selbstständigkeit! Der Ausbildungsgang zum Professional Street Bum hat noch freie Plätze. Für alle, die glauben, dass ihre Zukunft auf der Straße liegt!“ Es folgte die Nummer einer Hotline. „Und dann“, erinnert sich Herr Meierhahn, „standen die Telefone eine Woche lang nicht mehr still.“ Thomas Meierhahn, 36, Mitarbeiter der Tourismuszentrale Hamburg und Initiator des Projekts, lehnt sich zufrieden zurück. „Die Zeit war reif“, erklärt er. „Immer mehr Besucher haben sich verschaukelt gefühlt, dass es in der Millionenmetropole Hamburg genauso sauber und friedlich ist wie in Wanne-Eickel. Da mussten wir einfach reagieren.“
Also machte sich Herr Meierhahn auf die Suche nach Partnern. Und wurde dort fündig, wo er es nicht erwartet hätte. „Durch Zufall kam ich auf einer Tagung zum Thema ‚Standortfaktor Innere Sicherheit‘ mit Vertretern der Polizeigewerkschaft und verschiedener Sicherheitsdienste ins Gespräch. Als ich denen von meiner Idee erzählte, war die Begeisterung sofort groß.“
Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass jeder aktive Penner Arbeitsplätze sichert. Ruhestörung, Hausfriedensbruch, Kleinkriminalität, Beschmutzungen öffentlicher Plätze – die Liste der ahndungsfähigen Vergehen ist lang. Rechenmodelle ergeben, dass fünf Penner in Vollzeit einen Polizisten beziehungsweise Sicherheitsdienstmitarbeiter mit Arbeit versorgen. Allein für Hamburg besteht, vorsichtigen Schätzungen zu Folge, Bedarf an hunderten so genannten Street Bums.
„Und hier sprechen wir nur von einer 37,5-Stunden-Woche“, erklärt Dagmar Hase von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Rechnet man zwei Schichten, sieben Tage die Woche, ist man schnell bei 40 und mehr sicheren Arbeitsplätzen!“ Frau Hase vergisst nicht zu erwähnen, dass das Problem zum Teil hausgemacht ist. „Die Kehrseite der restriktiven Sicherheitspolitik war doch, dass sie so erfolgreich war. Viele Kollegen sitzen mittlerweile däumchendrehend auf den Wachen und haben Angst um ihren Job.“ Da kam die Idee vom Street Bum gerade recht. „Wir hoffen, dass die ersten Absolventen bald auf der Straße sind!“
Einer von ihnen, Martin, 41, erzählt uns bei einer Flasche Korn, wie es zu der Ausbildung zum Street Bum kam. „Ich habe vier Jahre lang in einem Treffpunkt für Obdachlose gearbeitet. Beratungsgespräche, Wäschetausch, Behördengänge – das volle Programm. Dann kam die neue Sozialpolitik, und wir waren eines der ersten Projekte, das von den Kürzungen betroffen war. Als ich von der Ausbildung hörte, war ich seit anderthalb Jahren arbeitslos. Da hab ich nicht lange überlegt.“
Martin ist beileibe kein Einzelfall. Allein für seinen Lehrgang haben sich sieben Mitarbeiter aus geschlossenen Sozialeinrichtungen beworben. Ein Vorteil, wie sich herausstellt. „Die Erfahrungen, die ich in meinem Job gemacht habe, kommen mir jetzt zugute“, ist Martin zuversichtlich. „Wissen ist inzwischen auch hier das größte Kapital. Ich behaupte mal, dass der moderne Bum den gemeinen Straßenpenner in zwei Jahren weitgehend verdrängt hat. Ohne Qualifikation geht es einfach nicht mehr – das ist das Gesetz der Straße.“
Um die hohe Qualität der Ausbildung sicher zu stellen, wird von Anfang an größten Wert auf Praxisnähe gelegt. Schon in der mit drei Wochen rekordverdächtig kurzen Grundausbildung geht es täglich für mehrere Stunden hinaus auf die Straße, und zwar in vollem Penner-Ornat. Die Arbeitskleidung, die Frisur, der Geruch – alles muss stimmen. „Mit weniger als 0,5 Promille braucht man gar nicht zum Dienst erscheinen“, verdeutlicht Herr Meierhahn die strengen Regeln. „Und wer mit sauberen Fingernägeln ankommt, wird erstmal zum Buddeln in den Garten geschickt.“
Der Rest der Zeit ist mit Workshops belegt. Neben Pflichtseminaren wie „Krawallkunde“, „Benimm-Guide für Bums“ und natürlich „Alkohol, dein Freund und Helfer“ hat jeder Absolvent die Möglichkeit, durch den Besuch von weiterführenden Vorlesungen Zusatzqualifikationen zu erwerben. Kurse wie „Entdecke die Möglichkeiten – Wohnen auf Hamburgs Straßen“ oder „Dancing in the Streets – Wie errege ich Aufsehen?“ werden stark nachgefragt. Die Kosten für die Ausbildung trägt übrigens das Sozialamt. „Zukunftsinvestition“ nennt das die zuständige Sprecherin. „Schließlich sparen wir bei jedem erfolgreichen Teilnehmer in Zukunft viele hundert Euro, die sonst für Sozialhilfe, Wohnungsgeld und so weiter draufgegangen wären!“
Und die Bums, was haben sie am Ende des Monats in der Tasche? „Was sie erbetteln, können sie behalten“, erklärt die Dame vom Sozialamt. „Abzüglich einer Pauschalsteuer natürlich. Aber dafür haben sie ja auch keine Fixkosten wie Miete, Strom oder Telefon. Außerdem wird unbegrenzt Alkohol zur Verfügung gestellt.“ Insgesamt faire Konditionen. Sollte trotzdem einmal die Motivation nachlassen, wird sanft nachgeholfen. „Dann kündigen wir heimlich die Wohnung. Das wirkt Wunder!“
Nach der Grundausbildung folgt ein Monat als „Penner im Praktikum“, in dem die Teilnehmer behutsam auf die Straße gesetzt werden. Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft soll man die Neulinge von den Alteingesessenen nicht mehr unterscheiden können. „Bis dahin ist das Ding durch“, ist Thomas Meierhahn optimistisch. „Schließlich steckt in jedem von uns ein Penner.“
OLIVER SIMON