piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine frage der politischen ethik

Der 100. jahrestag des krieges zwischen Deutschen und Herero im heutigen Namibia hat in den deutschen medien ein breites echo gefunden. In wort und bild wurde dargelegt, dass der krieg im damaligen Deutsch-Südwestafrika fast zur auslöschung der Herero führte. Ihr schicksal wurde als völkermord bezeichnet (1). Damit folgten die medien den schlussfolgerungen zahlreicher historiker unterschiedlicher orientierung, die den Herero-krieg erforscht und folgende fragen gestellt haben: war die behandlung der Herero die erste manifestierung dessen, was später in der auslöschung der juden und anderer durch das nazi-regime gipfelte? Waren die lager, in denen die überlebenden Herero festgehalten wurden, konzentrationslager, wie wir sie in Hitlerdeutschland wiederfinden? War die politik der landenteignung der test für die landnahme Nazideutschlands im osten?

Doch haben diese fragestellungen die politik offensichtlich nicht erreicht. Die politik hat zur kenntnis genommen, was im Deutsch-Herero-Krieg geschah, aber keine für alle seiten angemessene reaktion formuliert. Noch am 4. juni antwortete der scheidende bundespräsident Johannes Rau einem Namibier, der ihn um „ein wort der entschuldigung“ als „zeichen der versöhnung“ bat: „Ich möchte sie um verständnis dafür bitten, dass ich mich angesichts der schwierigen rechtlichen situation nicht in einer weise äußern kann, die über die äußerungen meines amtsvorgängers oder des bundesaußenministers hinausgehen würde.“ Auch der Deutsche Bundestag bekräftigte in seiner Namibia-resolution vom 17. juni lediglich Deutschlands „besondere verantwortung für Namibia“ und forderte die bundesregierung auf, „die entwicklungszusammenarbeit mit Namibia auf hohem niveau weiter fortzuführen“. Vertreter der Herero und teile der deutschen öffentlichkeit haben diesen beschluss kritisiert, weil er die ereignisse von 1904 nicht als völkermord bezeichnet und keine entschuldigung enthält.

Der deutsche botschafter in Namibia nannte die resolution „gut und vorausschauend“ und bedauerte, dass die kritiker sie nur danach beurteilten, was nicht drinstand. In den medien wurde er dahingehend zitiert, dass man sich nur im kreise bewege, wenn man sich auf „schlagwörter“ konzentriere – gemeint waren damit wohl „völkermord“ und „entschuldigung“. Der botschafter sagte nicht, wieso er die resolution für vorausschauend hielt. Es kann davon ausgegangen werden, dass einer seiner gründe war, dass der Bundestag damit erstmals seit Namibias unabhängigkeit eine position zur deutschen kolonialgeschichte in Namibia bezog und einen offiziell festgehaltenen minimalkonsens herstellte. Dies hat mehr gewicht als aussagen, die deutsche politiker auf Afrika-reisen treffen (2).

Dennoch sind „völkermord“ und „entschuldigung“ mehr als nur schlagwörter. Könnte es sein, dass deutsche amtsträger juristische probleme damit haben, die ereignisse von 1904 und danach als völkermord zu bezeichnen? Oder damit, eine entschuldigung anzubieten? Wenn dies der fall sein sollte, würde es bei den begriffen „völkermord“ und „entschuldigung“ um mehr gehen als um schlagwörter.

Die entscheidung der Herero unter ihrem traditionellen führer Kuaima Riruako, vor einem US-gericht entschädigung von der deutschen regierung und von deutschen unternehmen für das schicksal der Herero unter der deutschen kolonialherrschaft zu fordern, hat inner- und außerhalb Namibias viel aufmerksamkeit erhalten (3). Doch dass ein teil der Herero sich für den rechtsweg entschieden hat, sollte nicht davon ablenken, dass die mehrheit der Herero die ereignisse von 1904 und danach als völkermord wertet und daher eine entschuldigung und nicht nur eine entschädigung verlangt. Es geht nicht darum, geld flüssig zu machen, das dann unter den Herero verteilt wird. Vielen Herero geht es vorrangig um würde. Im krieg verloren sie ihre würde und haben sie bis heute nicht wiedergefunden. Die differenzen innerhalb der Herero bestehen hauptsächlich darin, welche strategie dafür angewandt werden soll. Manche haben probleme mit dem von Chief Riruako eingeschlagenen rechtsweg und hoffen, dass Namibias regierung sich ihr schicksal zu eigen macht und in bilaterale verhandlungen mit Deutschland einbringt.

In der historischen forschung gibt es derzeit drei positionen zu den ereignissen von 1904 und danach. Die erste ist, dass die ereignisse nur als völkermord bezeichnet werden können; diese position wird von vielen historikern und sozialwissenschaftlern sowie wahrscheinlich allen Herero geteilt. Die zweite, gegensätzliche position, hält den begriff des völkermordes für inakzeptabel, sogar für eine lüge. Die dritte akzeptiert, dass es gräueltaten gegen die Herero gab, findet die diskussion über den begriff völkermord aber nicht hilfreich in bezug auf die notwendigkeit einer nationalen versöhnung in Namibia; diese position versucht, die völkermorddebatte hinter sich zu lassen und soziale probleme zu lösen, ohne die definition vergangener ereignisse klären zu wollen. Befürworter und gegner des begriffs „völkermord“ können sich in dieser position wiederfinden, solange sie von der notwendigkeit einer versöhnung überzeugt sind. Die verfechter der ersten und zweiten position jedoch halten die korrekte definition der vergangenheit für die vorbedingung nachhaltiger versöhnung. Da diese verfechter existieren, wird die dritte position nicht kurzfristig zu einer lösung der probleme der Herero beitragen.

Regierungsbeamte aus der zeit von 1904 und 1905, missionare, auswärtige beobachter, politiker in parlamentsdebatten, forscher und bewahrer mündlicher überlieferungen haben festgehalten, dass die ereignisse von damals letztlich in der nahezu völligen physischen auslöschung der Herero mündeten und in die nahezu komplette auslöschung ihrer sozialen, politischen, kulturellen und spirituellen existenz als nation. Festgehalten wurde auch, wie lange der überlebende teil der Herero-nation brauchte, um seine identität wiederzuentdecken, sich sozial, politisch und kulturell neu zu organisieren und eine basis für ihr physisches überleben wiederzufinden. Dieses ergebnis fällt klar in den rahmen des völkermordes, wie ihn die UN-konvention von 1948 definiert (4).

Nichtsdestotrotz bleibt es schwierig, ereignisse unter verwendung von begriffen zu diskutieren, die erst 40 jahre später entwickelt wurden, und es gibt einige, die sagen, dass die völkermordkonvention nicht rückwirkend anwendbar ist. Und es gibt zahlreiche weitere juristische hürden, die wohl verhindern werden, dass die Herero vor gericht ein urteil gegen Deutschland und deutsche firmen erwirken. Doch die rückwirkende diskussion wird damit nicht überflüssig. Denn sie macht deutlich, dass die lösung des Herero-problems auf der ebene der politischen ethik zu suchen ist. Die völkermordkonvention hilft uns, die ereignisse von 1904 und danach in einen angemessenen politisch-ethischen rahmen zu stellen.

Der fall der Herero ist nicht nur wegen der ereignisse von 1904 ungelöst, sondern auch wegen dem, was nach dem krieg geschah – die zwangsenteignung des landes und des viehs und die erzwungenen versuche, die verbliebenen Herero in den soziopolitischen rahmen des kolonialen staates zu integrieren. Heute sagen Herero, dass das, was ihren vorfahren vor 100 jahren geschah, ihnen vorkommt, als sei es gestern geschehen, weil sie in der zeit der kolonialherrschaft und der apartheid keine gelegenheit hatten, diese traumatischen erlebnisse aufzuarbeiten. Das bedeutet auch, dass viele konsequenzen der ereignisse von 1904 bis heute nicht behandelt worden sind. Viele Herero leben bis heute nicht auf dem land ihrer vorfahren. Einige derer, die nach Namibias unabhängigkeit aus Botswana zurückkehrten, sind nicht wirklich zu hause angekommen, da sie eher unter bedingungen eines flüchtlingslagers leben. Die sterblichen überreste wichtiger Herero-führer warten immer noch auf eine beisetzung in namibia. Dazu kommen die forderung nach landreform und die entwicklungspolitische vernachlässigung der Herero-gebiete. (5)

So ist es bedauerlich, dass die diskussion über den Herero-fall noch immer nicht auf die ebene gerückt ist, auf der mit ihm umgegangen werden sollte: die politisch-ethische ebene, die anerkennt, dass die unweigerlichen unzulänglichkeiten des juristischen zugangs nicht den wert einer ethisch begründeten politischen evaluierung schmälern. Zur politischen ethik gehört, die stimmen der opfer zu respektieren. Der ausdruck von bedauern ist eine sache, der ausdruck einer entschuldigung ist etwas anderes. Bedauern kann man unilateral äußern, wann immer man will. Sich zu entschuldigen ist der beginn eines bilateralen oder gar multilateralen prozesses. Entschuldigung beinhaltet die befreiung von schuld. Das ziel ist vergebung, aber diese kommt nicht automatisch. Erst muss die andere seite die entschuldigung annehmen; sie kann sie aber auch verweigern oder bedingungen stellen.

Seit Willy Brandts kniefall vor dem mahnmal für die opfer des warschauer aufstandes 1970 sind entschuldigungen teil der politischen kultur geworden. Willy Brandt machte damit schlagzeilen und schuf auch einen rahmen dafür, wie man verantwortung für ungerechtigkeiten wahrnimmt, wie man respekt ausdrückt und den wunsch nach vergebung. Das war der deutschen außenpolitik jener zeit angemessen.

Weder bundespräsident Rau noch der Deutsche Bundestag haben im falle der Herero diese politische dimension erreicht. Rau versteckte sich hinter juristischen schwierigkeiten, der Bundestag schwieg. Beide positionen scheinen von der maxime angetrieben, nichts zu sagen, was vor gericht gegen sie verwendet werden könnte. Eine solche maxime anzuwenden ist allerdings selbst eine politische entscheidung.

Der frühere namibische botschafter bei der EU, Zedekia Ngavirue, erinnerte kürzlich daran, dass viele namibier nicht verstehen, warum der krieg zwischen Deutschen und Herero nie förmlich mit einem friedensabkommen beendet wurde. Andere kolonialkriege in Namibia endeten durchaus mit abkommen, nicht aber die widerstandskriege von 1904–08. Warum? Weil diese kriege von deutschland als rebellion deutscher untertanen gewertet wurden. Nur deswegen konnte general von Trotha seinen ausrottungsbefehl erteilen.

Tatsächlich waren die kriege zwischen Deutschen und Herero sowie zwischen Deutschen und Nama kriege zwischen nationen. Bis zu ihrem ende 1908/09 waren die beziehungen zwischen der kolonialmacht und den Herero und Nama vertraglich geregelt. Eine lösung der probleme, die die Herero und Nama erlitten haben, kann also nicht mit dem verweis auf zwischenstaatliche verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia geleistet werden. Andere fälle kollektiv erlittenen unrechts, etwa durch opfer Nazideutschlands, wurden auch nicht immer in zwischenstaatlichen verhandlungen zufrieden stellend geklärt, manche gruppen haben Deutschland deshalb vor gericht gebracht.

Deutschland müsste angesichts all dieser erwägungen eine aktive position einnehmen. Sich für einen vermittlungsprozess zu entscheiden, würde die tür zu gesprächen öffnen und die bildung einer plattform ermöglichen, auf der alle möglichen sorgen, erwartungen, forderungen nach entschuldigung samt ihren konsequenzen geäußert werden könnten.

Dieser vermittlungsprozess sollte die form einer bilateralen versöhnungskommission aus vertretern der Deutschen und der Herero einnehmen, eingerichtet mit unterstützung der bundesregierung und beauftragt mit dem mandat, eine lösung im konsens zu finden. Der startpunkt dieses prozesses muss besonders sorgfältig definiert werden. Er sollte darin bestehen, dass Deutschland die verantwortung für das getane unrecht klar und unzweideutig anerkennt. Üblicherweise besteht ein solches anerkennungsverfahren darin, auf die geschädigten zuzugehen und mit ihnen über das geschehene zu sprechen, über mögliche wiedergutmachung und normalisierung und über einen konsultationsprozess, der zur normalisierung führen könnte. Es mag sich als nötig erweisen, einen vermittler einzuschalten, und auch die regierung Namibias müsste konsultiert werden.

Wenn diese prinzipielle entscheidung getroffen ist, könnte eine deutsche regierungsdelegation die vertreter der Herero besuchen und mit ihnen über das mandat einer bilateralen kommission beraten. Die kommission sollte paritätisch aus mitgliedern der Herero-gemeinschaften und mit der materie vertrauten deutschen, berufen von der bundesregierung, bestehen. Sie würde nach dem konsensprinzip arbeiten: dies erzwingt dialog auch über dinge, die im juristischen rahmen schwer anzusprechen wären. Die kommission würde darauf zielen, die form einer entschuldigung zu diskutieren und auch form, methode und größenordnung eventueller wiedergutmachungen. Die anzustrebende vereinbarung hätte den charakter einer außergerichtlichen einigung und würde damit sowohl laufende verfahren beenden als auch alle seiten von weiteren juristischen fragen entlasten.

Der vorschlag einer versöhnungskommission zwischen Deutschen und Herero würde als signal verstanden werden, dass die Deutschen den Herero helfen wollen, ihre würde zurückzugewinnen. Er wäre ein überfälliges signal jener, die für etwas verantwortlich sind, das zumindest unter ethischen gesichtspunkten ein völkermord war.

Fußnoten

1. Die völker der Herero und Nama erhoben sich im januar 1904 gegen die deutsche kolonialherrschaft im heutigen Namibia, damals Deutsch-Südwestafrika. Am 11. und 12. august kommt es am Waterberg zur schlacht zwischen den Herero und den deutschen schutztruppen. Der Herero-bevölkerung bleibt nach der niederlage ihrer bewaffneten verbände nur die flucht in die wasserlose Omaheke-sandwüste, wo tausende verdursten. Am 2. Oktober erlässt schutztruppengeneral Lothar von Trotha seinen „vernichtungsbefehl“, in dem er die erschießung aller Herero innerhalb der deutschen grenzen anordnet. Ab Dezember werden die überlebenden angehörigen der Herero zusammen mit denen der Nama, die einen eigenen guerillakrieg geführt hatten, in konzentrationslagern interniert. 35 bis 80 prozent der damals 40.000 bis 100.000 Herero und bis zu 50 prozent der damals 22.000 Nama fallen nach schätzungen von historikern dem deutschen feldzug zum opfer.

2. Am kommenden samstag nimmt bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul am Waterberg in Namibia an den offiziellen gedenkfeiern zur schlacht vor 100 jahren teil. „Mit meiner reise nach Namibia und meiner teilnahme an der gedenkveranstaltung möchte ich die besondere politische und moralische verantwortung Deutschlands für die vergangenheit und koloniale schuld dokumentieren“, erklärte sie gestern vor ihrer abreise. Eine richtige entschuldigung ist auch das nicht.

3. Die klage auf entschädigungszahlungen in höhe von vier milliarden Dollar wurde im september 2001 vor dem bezirksgericht von Washington eingereicht. Der auf die regierung bezogene teil wurde inzwischen zurückgezogen, der auf deutsche firmen bezogene liegt auf eis.

4. Die UN-völkermordkonvention von 1948 definiert völkermord so: „eine der folgenden handlungen, die in der absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) tötung von mitgliedern dieser gruppe; b) verursachung von schwerem seelischen oder körperlichen schaden an mitgliedern der gruppe; c) vorsätzliche auferlegung von lebensbedingungen für die gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; d) verhängung von maßnahmen, die auf die geburtenverhinderung innerhalb der gruppe gerichtet sind; e) gewaltsame überführung von kindern der gruppe in eine andere gruppe.“

5. Namibia wurde nach dem ende der deutschen herrschaft von Südafrika besetzt und ist erst seit 1990 unabhängig. Die Herero-führung steht in opposition zur regierenden befreiungsbewegung Swapo (South West African People’s Organisation).