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Archiv-Artikel

Kultur oder barbarei

Der streit um die rechtschreibreform wird gern als gegensatz von „die da oben – wir hier unten“ empfunden – und inszeniert

VON DIRK KNIPPHALS

Worum geht derzeit überhaupt der streit? Wirklich nur um die rechtschreibung? Das darf bezweifelt werden.

Schon der brandsatz, der die lange schwelende debatte ende vergangener woche zum explodieren brachte, ging weit über die spezialfragen von trennungsregeln und zusammen- und getrenntschreibung hinaus. „Staatlich verordnete legasthenie“ – es sind ressentiments gegen „die da oben“, die ausgerechnet Spiegel-chefredakteur Stefan Aust und Springer-chef Matthias Döpfner in ihren erklärungen beschworen. Wer in diesen tagen zudem staunend die vielen leserbriefe allerorten zum thema liest, kann feststellen, dass es offensichtlich üblich ist, die kritik an der rechtschreibreform mit einer kritik am deutschen obrigkeitsstaat im allgemeinen oder der regierung im besonderen zu vermischen. Es kommt jedenfalls vor, dass die taz in lesermails als „regierungspartei“ beschimpft wird, nur weil sie die konzertierte aktion der anderen presseorgane nicht mitgemacht hat.

Natürlich ließen sich fragen stellen: Ist das nicht alles zu dick aufgetragen? Tut es der sache wirklich gut, rechtschreibung und staatskritik zu vermischen? Gibt es derzeit nicht auch bessere punkte, um die bundesregierung zu kritisieren? Hilft alles nichts, die verbindung von rechtschreibreformkritik mit einem lamento über die gängelungen durch eine anonyme macht – sei es nun die regierung oder sei es die kulturbürokratie – ist in der welt. Da kann Matthias Wermke versuchen, die debatte tiefer zu hängen, wie er will. Nur zwei prozent der wörter eines normalen textes würden durch die rechtschreibreform überhaupt geändern, hatte der redaktionsleiter immerhin des Duden neulich betont. Macht nichts. Wer lust hat auf fundamentalkritik, dem reichen zur not auch mal zwei prozent.

Neben diesem „die da oben – wir hier unten“ gibt es zwei weitere gegensatzpaare, die sich in der gegenwärtigen debatte immer wieder durchsetzen. Das eine ist der gegensatz zwischen ordnung und chaos, das zweite der zwischen kultur und barbarei. Man kann derzeit durchaus einen interessanten eindruck haben: die verteidiger der neuen rechtschreibung argumentieren eher sachlich – mit den tatsächlichen vereinfachungen, mit beschwichtigungen hinsichtlich der reichweite der reformen – und zeigen sich im zweifel auch kompromissbereit. Die zurückruderer aber kommen immer wieder mit der prinzipienklatsche und zielen aufs grundsätzliche. Der eigentliche streit scheint sich so nicht darum zu drehen, welche regeln besser sind – die alten oder die neuen. Sondern darum, für wie gewichtig man die tatsache der reform überhaupt hält. Ihre anhänger argumentieren pragmatisch, ihre angreifer zumindest von der tendenz her fundamentalistisch? Woher, so lässt sich fragen, nur dieser furor?

Auffällig ist: ein eigentümlicher konservatismus macht sich bei den gegnern breit, der über die bewahrung der sprache hinausgeht. Neue regeln werden als chaos interpretiert, ältere regeln als naturgegebene ordnung nicht hinterfragt. Hinzu kommt dann gerne ein besorgter zungenschlag. Das würde die menschen verunsichern, hat Thomas Steinfeld, literaturchef der SZ, etwa neulich einmal behauptet. Woher er das weiß? Keine ahnung. Klar ist nur, dass sich unter der hand das konservative menschenbild von der notwendigkeit klarer regeln in viele debattenbeiträge einschleicht. Man braucht nun gar nicht gut spontimäßig entgegenhalten, dass chaos auch seine gute seiten hat. vielmehr stellen sich angemessenheitsfragen: ein wenig weniger ordnung bedeutet doch noch lange nicht chaos!

Vielleicht ist es so, dass das gegenwärtige parteienspektrum keine geeigneten räume für konservatives denken mehr bereit hält? Anlässlich einer CDU, die sich gerade als weltoffene und pragmatische Merkel-partei neu erfindet, kann man zumindest einmal in diese richtung spekulieren. Der kampf um die alte rechtschreibung wäre dann nicht einfach nur ein ventil. Sondern ein rückzugsort konservativen denkens, das sich von allen seiten von veränderungen und verschiebungen umstellt sieht. Wer diese spekulation nicht mitmacht, kann natürlich auch nur einfach den versuch eines konservativen backlash wittern – ganz falsch wäre das sicherlich nicht, würde aber die teilweise auch echte verzweiflung, die aus vielen aktuellen leserbriefen spricht, nicht erklären.

Bleibt der gegensatz zwischen kultur und barbarei. Dass viele schriftstellerInnen, die sich in die FAZ-kampagne gegen die neue rechtschreibung einspannen ließen, auf ihn zurückkamen, war ja zu erwarten. Darüber hinaus spricht er aus vielen leserbriefen, bei denen ein bildungsbürgerlicher hintergrund erkennbar ist. Auch die ängste, dass einst selbstverständliches kulturelles wissen sich gerade in einer allgemeinen phase der entwertung befindet, muss man wohl derzeit ins kalkül ziehen. Wer bei den erfolgen eines Dieter Bohlen nervös wird, wird bei änderungen in der rechtschreibungen nicht lockerer. Die sprache ist das haus des seins, dieser kluge spruch martin heideggers ließe sich als motto über viele aktuelle meinungsäußerungen setzen. Dass die sprache aber mehr ist als die aktuellen rechtschreibregeln, das wird derzeit in der hitze des gefechts gerne vergessen.