: Spatenstich auf Mauerstreifen
Der ehemalige Grenzstreifen an der Bernauer Straße ist Sinnbild für die Teilung der Stadt im Alltag. Nun droht er unter Neubauten zu verschwinden. Bürgerinitiative startet heute eine Zwischennutzung
VON UWE RADA
Wenn der Checkpoint Charlie das Symbol der Berliner Teilung zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Sektor ist, ist die Bernauer Straße das Sinnbild der Teilung der Stadt im Alltag. Es sind vor allem die Bilder, die diese Teilung im Bewusstsein halten und weniger die Mauergedenkstätte oder das benachbarte Dokumentationszentrum: der Sprung eines Grenzers über den Stacheldraht am 13. August 1961 oder die Bewohner des südlichen Teils der Bernauer Straße, die sich in Sprungtücher der Westberliner Feuerwehr retteten.
Eines dieser Alltagsbilder ist noch heute zu sehen. Es ist der Mauerstreifen entlang der Bernauer Straße, jenes sechzig bis siebzig Meter breite Niemandsland zwischen Straße und Mietskasernen, unter dem sich die Trümmer der nach dem Mauerbau abgerissenen Häuser, aber auch der Todesstreifen der einst innerdeutschen Grenze befinden. Wo bis 1989 Pestizide dafür sorgten, dass kein Wildwuchs dem wachsamen Auge der DDR- Grenzer im Wege stehe, steht heute meterhohe Spontanvegetation: Birken, Robinien, Ahorn.
Eines der seltsamen Dinge im Jahre 43 nach dem Bau der Mauer, sagt der Anwohner Christof Schaffelder, ist nicht, dass ehemalige Eigentümer der Mauergrundstücke nun anfangen, ihre Parzellen wieder zu bebauen, sondern, dass sich der Mauerstreifen als Stadtbrache bis heute gehalten hat. Das liege nicht nur an der Tatsache, dass die Alteigentümer die Grundstücke für ein Viertel des Verkehrswerts vom Bund zurückkaufen müssen. „Kleine Parzellen, große Erbengemeinschaften und fehlende technische Infrastruktur“, so Schaffelder, „haben bislang dazu geführt, dass so wenig Investitionsvorhaben realisiert wurden.“
Doch das kann sich bald ändern. Mit dem Bau der Straßenbahn vom U-Bahnhof Eberswalder Straße entlang der Bernauer bis zum Nordbahnhof werden auch Straße und unterirdische Versorgungsanlagen erneuert. Zudem sind einige Erbengemeinschaften dabei, sich zusammenzuschließen, andere bieten über Makler ihre Grundstücke zum Verkauf an. Vereinzelte Bautafeln zeigen: Das Bild der Berliner Teilung, das die Bernauer bis heute bietet, wird am nächsten oder übernächsten 13. August nicht mehr so lückenlos sein.
Dagegen hat Volkmar Nickoll auch gar nicht so viel einzuwenden. Vor zwei Jahren ist der Architekt an den Mauerstreifen gezogen und blickt seitdem nicht auf gepflegtes Grün, sondern einen wilden Parkplatz. Es ist dieses Nebeneinander von Parkfläche, verwahrlostem Rasen und Hundeauslaufplatz, das Nickoll seitdem ärgert. Um Abhilfe zu schaffen, hat er sich deshalb einer Bürgerinitiative angeschlossen, die sich die Zwischennutzung des Mauerstreifens zum Ziel gesetzt hat.
Heute, am 43. Jahrestags des Baus der Mauer, soll dafür der erste Spatenstich gesetzt werden. Geplant ist zunächst, so viel Gründlichkeit muss sein, eine archäologische Grabung, eine Spurensuche, wie Nickoll es nennt, um sich dem Ort zu nähern. „Wir vermuten, dass sich unter dem Mauerstreifen noch die Kellergeschosse der abgerissenen Häuser befinden“, sagt er, „zu DDR-Zeiten hat es da bestimmt keine Tiefenenttrümmerung gegeben.“ Mit dem ausgehobenen Erdreich soll aber auch ein Hochbeet angelegt werden, um dem Bedürfnis nach mehr Grün und Bepflanzung Rechnung zu tragen. Die ganze Aktion an der Ecke Bernauer/Schwedter Straße, die am Abend mit einem Grillfest endet, sei mit dem Eigentümer abgesprochen, versichert Nickoll.
Absprachen mit den Eigentümern wären auch vonnöten, wenn es um ein weiteres Thema geht – die Vermeidung von planerischem Wildwuchs. Rein rechtlich nämlich steht der Bebauung des Mauerstreifens durch die Alteigentümer oder die Käufer der Grundstücke nichts im Wege. So könnte es also bald kommen, dass vom Mauerstreifen, einmal in typischer Berliner Blockrandbebauung zubetoniert, gar nichts mehr zu sehen ist. An einen Bebauungsplan, der den Anwohnern auch weiterhin die Durchwegung über einen Grünstreifen parallel zur Bernauer Straße sichert, denkt man im Bezirksamt Mitte nämlich nicht – der würde Geld kosten, müsste der Bezirk doch die dafür notwendigen Grundstücke selbst kaufen.
So hofft man bei der Bürgerinitiative deshalb auf die nötige Öffentlichkeit und die entsprechende Einsicht bei den Eigentümern. Fachlicher Beistand jedenfalls ist vorhanden. Erst vor kurzem haben Studenten der Architektur von der Kunsthochschule Weißensee eine alte Raumerweiterungshalle aus DDR-Zeiten auf Mauerstreifen platziert – sie soll für kleinere Veranstaltungen genutzt werden. Dort, wo Berlin einst eine Wunde geschlagen wurde, wächst nun wieder etwas zusammen.