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Archiv-Artikel

Das Cool in der Malerei

Sich aufregen kostet nur Energie, also: kühlen Kopf bewahren und durch. Das Werk von Edward Hopper steht am Anfang einer Kunstgeschichte des Cool. Handlung findet sich in seinen Bildern kaum, dafür erhob er die Ereignislosigkeit zum Sujet. Tate Modern in London zeigt eine Retrospektive des Malers

VON MARCUS WOELLER

Sein Leben in Glückseligkeit verbringen, das ist seit Menschen denken ein Thema. Aber wie soll und kann man diese Glückseligkeit erreichen, bei all den Unwägbarkeiten, Schwierigkeiten und Anstrengungen, die das Leben so mit sich führt? Im antiken Griechenland etablierte die Philosophie der Stoa das Konzept der Ataraxie. Seelenruhe und die Unerschütterlichkeit des Gemüts erlangte man durch rigorose Vernunftkontrolle und das Trachten, ein von Affekten ungestörtes Leben zu führen. Bloß nicht aufregen, so lehrte es auch Epikur in seinem Garten. Die höfische Etikette im Italien der Renaissance kultivierte die Vermeidung jeglicher Anstrengung als Sprezzatura. Die aristokratische Lebensart sollte mühelos erscheinen und elegant. Bloß nicht überanstrengen, war die Devise. Diese angestrebte mentale Regungslosigkeit greift auch der Willensmetaphysiker Arthur Schopenhauer wieder auf, denn er weiß, dass zwischen Glück und Unglück oft nur ein kleiner Unterschied besteht. Die Kürze des Lebens und die Schalheit der Genüsse müsse man sich stets vergegenwärtigen. Dabei empfiehlt der Pessimist, dem Schicksal kaltblütig ins Auge zu sehen. Bloß nicht beeindrucken lassen, seien die Umstände auch noch so hart. Das Feuer des Unmuts nicht auflodern zu lassen, bewunderte Charles Baudelaire am Dandytum des 19. Jahrhunderts. Kontrolliert und distanziert verschafft sich der Dandy eine wohltemperierte Überlegenheit gegenüber den gefühligen Hitzewallungen der Spätromantik. Denn in der Ästhetik der Leidenschaftslosigkeit gilt: kühlen Kopf bewahren. Kälter noch wird es in der Sachlichkeit zwischen den Weltkriegen. Menschliche Isolation und Entfremdung erfordern ein spezifisches Verhalten, um auf die Kälte der Umwelt zu reagieren, ohne sie abzulehnen oder sich gegen sie aufzulehnen. Hitzige Reaktionen kosten nur Energie, also: Bloß durch und cool bleiben! Sein Ding machen und weder heißlaufen noch frösteln.

Spätestens seit der Mitte des letzten Jahrhunderts ist die Niedrigtemperaturstrategie des Cool nicht nur fester Bestandteil aller popkulturellen Codes, sondern wird auch als Lebensstil gepflegt. Über „cool cats“, die Protagonisten emotional heruntergekühlter Unerschütterlichkeit, sind in den Vierziger- und Fünfzigerjahren in Hollywood ganze Schwarze Serien gedreht worden. Der Cool Jazz von Miles Davis und Stan Getz ist als soundgewordene Lässigkeit in die Musikgeschichte eingegangen. Der New Yorker Maler Alex Katz wird seit 1960 nicht ohne das Attribut „cool“ rezensiert. Aber am Anfang einer Kunstgeschichte des Cool steht jemand, der hauptsächlich als Maler der Leere und der menschlichen Isolation rezipiert worden ist. Die Londoner Tate Modern widmet Edward Hopper jetzt eine Retrospektive mit mehr als achtzig Gemälden und Zeichnungen.

Hopper ist Realist. Auch in seiner Malerei. Nach einer künstlerischen Ausbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht der 1882 in Nyack, New York, geborene Hopper für einige Zeit nach Paris. Vom Avantgarde-Trubel um Picassos Kubismus oder Gertrude Steins Salon bekommt er nichts mit, was er jedoch im Nachhinein nicht als Nachteil empfand, sondern lediglich lakonisch konstatiert. Er studiert die Impressionisten und findet die Motive, denen er bis zu seinem Tod 1967 treu bleibt: Hausfassaden und Theaterräume, Schlafzimmer und Büros, Landschaftsdetails und Fensterszenen, staffiert mit Menschen, meist allein oder zu zweit.

Seine sechzehnjährige Tätigkeit als freier Illustrator und Grafiker schult sein Auge und seine Imaginationskraft. In der Malerei reduziert er den Realismus auf das Wesentliche. Auf detaillierte Flächengestaltung verzichtet er. Mitunter schludrig wirken seine Gemälde und die Personendarstellungen manchmal unbeholfen. Schließlich interessiert Hopper sich für andere Dinge, das Licht etwa und wie es die Flächen erhellt, verdunkelt oder färbt. Oder die Atmosphäre, die Menschen einem Raum verleihen, wenn sie warten oder ausharren.

Die isolierten Personen in Hoppers Bildern werden oft zum Ausgangspunkt einer Interpretation genommen, die Melancholie und Depression, Vereinsamung und Entfremdung thematisiert. Doch zeigen die Hopper’schen Figuren niemals Leid, es gibt keine Tränen und keinen Verdruss. Die Figuren streiten nicht und wirken nicht verzweifelt, weil sie scheinbar einsam sind. Stattdessen warten sie, im Theater auf den Beginn der Vorstellung oder im Hotel auf die Abreise. Sie blicken aus dem Fenster und fühlen das Licht auf der Haut. Viele lesen, seien es Bücher auf dem Bett oder Geschäftsbriefe im Büro. Die berühmtesten sitzen in einem Diner und trinken Kaffee. Andere nehmen ein Sonnenbad oder machen eine Arbeitspause.

Ihre Vereinnahmung im Kontext von Entfremdung und Existenzangst entsteht erst im Kopf des Betrachters. Denn Hoppers Gemälde rufen allgemein bekannte Bilder aus dem Gedächtnis hervor und laden dazu ein, viel hineinzugeheimnissen. Die Personen seiner Gemälde agieren (oder agieren eben nicht) vor einer eigenartig leeren Folie, die viele Möglichkeiten zur Verrätselung bietet. Sie verharren in Wartestellung vor Häusern, auf Balkonen oder in Zimmern, die manchmal ihrerseits auf etwas zu warten scheinen, und sei es auf ihre Möblierung. Isolation und Alienation mögen da gewiss Lesarten sein, vielleicht reagieren die vermeintlich Betroffenen aber auch cool auf diese Beeinträchtigungen des Lebens.

Ulf Poschardt, der das bisher einzige deutschsprachige Buch zu „Cool“ als kulturellem Phänomen veröffentlicht hat, beschreibt als cool „jene Handlungen, die den Eiswinden der Entfremdung trotzen“. Cool sein, bedeute den „Versuch, den Kältepassagen der Existenz affirmative Strategien entgegenzusetzen.“ Die Ambivalenzen, die das Leben bereithält, anzunehmen und sich darauf einzustellen, sei die Basis des coolen Verhaltens. Mit der Stilisierung dieser Aneignung wird Cool zur Lebenspraxis. Diedrich Diederichsen schildert Coolness als das kulturelle Wissen um die Beherrschbarkeit von Emotionalität und deren Zwiespältigkeit. „Cool sein heißt, in der Lage zu sein, das konventionell Ambivalente und Kontingente so zu behandeln, als wäre es denotativ, geplant und berechenbar.“ Das funktioniert natürlich nur aus der Distanz. Erst die Distanz zu sich selbst und der Situation, in der man steckt, ermöglicht die coole Überwindung der Störungen.

Edward Hopper erscheint in seinen Äußerungen wortkarg und distanziert, mit einem Anflug von Sarkasmus. Seine Frau Jo beschreibt ihn als stur und eigensinnig. Der mit Hopper befreundete Kunstkritiker Brian O’Doherty charakterisiert ihn als gravitätisch ruhigen Stoiker ohne Angst vor Langeweile und als Fatalisten mit Humor, der viel liest, gern ins Theater und ins Kino geht und ein geordnetes Leben schätzt. An der Stadt genießt Hopper die Anonymität und am Landleben die Einsamkeit, er verbrachte die Sommer in einem Haus in Cape Cod. Nach eigener Aussage interessierte er sich mehr für die ruhigen, unaufregenden und willkürlichen Elemente dessen, was er sah. Die Darstellung dieser stillen, nebensächlichen und belanglosen Begebenheiten seiner gefilterten Wahrnehmung wirken auf den Betrachter jedoch umso beunruhigender. Als realistische, gegenständliche Bilder erhalten seine Gemälde automatisch eine narrative Komponente, und doch erzählen sie kaum etwas. Handlung lässt Hopper einfach weg. Er vermeidet sie weitgehend und erhebt damit die Ereignislosigkeit zum Bildsujet.

Darum werden die von Hopper benutzten formalen Stilmittel so bedeutsam. Die Schlagschatten und gleißenden Lichtstreifen auf Wänden und Mauern sind Hoppers Markenzeichen genauso wie sie den Film noir prägten. Die leer gefegten Straßen, nächtlichen Büros und einsamen Cafés könnten auch Schauplatz für die cineastischen Privatdetektive mit Schlapphut und Trenchcoat sein. Seine Landschaften der Küste Neuenglands sind oft aus einer nach unten oder oben verschobenen Perspektive gesehen. Die scharf konturierten Häuser und Personen kontrastieren häufig mit dem wie verwischt und unscharf wirkenden Hintergrund oder Vordergrund der sie umgebenden Natur. So simuliert Hopper die Wahrnehmung des Blicks aus einem fahrenden Zug oder Auto. Manchmal muten die Bildausschnitte an, wie von einer Krankamera durch ein Fenster ins Innere eines Hauses gefilmt. Edward Hopper und der Kinofilm inspirierten sich gegenseitig. Seine lakonische und geheimnisvolle Ikonografie wurde somit zum Bildarchiv für die Kinematografie des Cool. Alfred Hitchcocks Set von Bates’ Motel aus „Psycho“ ist da nur das bekannteste Hopperzitat.

Bei Edward Hopper ist Cool noch nicht zur bloßen Attitüde geronnen. Er stilisiert nicht sich, sondern den beiläufigen Blick. Hopper zelebriert die Nonchalance der Gelassenheit. En passant fokussiert er auf das Nichtstun vor der Handlung, auf die Ruhe vor der Regung, auf die Starre vor der Bewegung. Sein künstlerisches Reich ist das Innehalten. In seinen malerischen Film-Stills dehnt er die Zeit jener Augenblicke, die niemand mehr bemerkt. Selbstbewusst und unbeeindruckt lässt er die bildnerischen Extremismen der Moderne an sich vorbeirauschen. Dabei ist er keineswegs antimodern, weder inhaltlich noch stilistisch. Hopper lässt sich nur ebenso wenig wie seine Bildprotagonisten aus der Reserve locken. Und das ist die Grundidee aller coolen Strategien.

Bis 5. September, Edward Hopper, Tate Modern, London, Katalog (Tate Publishing), 30 £; ab 9. Oktober im Museum Ludwig, Köln