„Der Umgang der Justiz mit Islamisten ist ein Fortschritt“, sagt Rupert von Plottnitz

Bei RAF-Prozessen hat der Bundesgerichtshof nie ein Urteil aufgehoben. Die Staatsanwälte waren viel parteiischer

taz: Herr von Plottnitz, Sie haben in den 70er-Jahren RAF-Mitglieder verteidigt. Was war damals anders als bei den heutigen Islamisten-Prozessen?

Rupert von Plottnitz: Auffällig ist zunächst, dass die Angeklagten damals viel konfrontativer waren. Die RAF-Mitglieder stellten den Staat und das System in Frage, während sich die Islamisten heute meist verhalten wie Angeklagte in einem normalen Strafprozess.

Die beiden Hamburger al-Motassadeq und Mzoudi sagen ja, dass sie gar nichts von den Anschlagsplänen wussten …

Das mag richtig sein oder nicht. Aber es ist eben ganz ähnlich wie in einem unpolitischen Strafverfahren. Und das gilt auch für Islamistenprozesse, bei denen einzelne Angeklagten geständig waren, etwa im Frankfurter Verfahren um die Anschlagspläne auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg. Auch dort wurde die islamistische Kritik am Westen nicht in den Gerichtssaal getragen. Anderes hört man nur aus den USA, wo der angebliche 9/11-Mitattentäter Zacarias Moussaoui, auf einen Verteidiger verzichtet hat und stattdessen Hetzreden hält.

Haben auch die Verteidiger heute eine andere Rolle?

Nein, auch bei uns Anwälten haben die meisten damals ja versucht, rechtsstaatlich zu verteidigen. So haben wir zum Beispiel im Stammheim-Prozess die Zusammensetzung des Gerichts gerügt, weil wir den Eindruck hatten, da hat die Landesregierung nachgeholfen, damit ein bestimmter Richter zum Vorsitzenden des zuständigen Senats wurde.

Ihr Kollege Axel Azzola hatte beantragt, dass die RAF-Mitglieder als Kriegsgefangene anerkannt werden sollten …

Ja, und heute ist es eher andersherum. Die Nato hat nach den Anschlägen von 2001 al-Qaida tatsächlich den Krieg erklärt und die USA halten nun islamistische Verdächtige als „feindliche Kämpfer“ in Lagern fest – ohne jede Chance auf ein faires Gerichtsverfahren.

Der Supreme Court der USA hat das ja jüngst beanstandet …

Aber diese Überprüfungstribunale, die da jetzt aus dem Boden gestampft wurden, sind eine reine Farce. Die Armee stellt zugleich Ankläger, Richter und Verteidiger, unglaublich.

Wie schlägt sich die deutsche Justiz in den Islamisten-Verfahren?

Das ist bisher sehr erfreulich, wie der Bundesgerichtshof auf Einhaltung der rechtsstaatlichen Standards beharrt. Der Kampf gegen den Terrorismus dürfe „kein wilder, ungeregelter Krieg“ werden, sagte ein BGH-Richter, als die Verurteilung von al-Motassadeq aufgehoben wurde.

Hat es dergleichen in den 70er-Jahren überhaupt nicht gegeben?

Mir ist keine RAF-Verurteilung bekannt, die der BGH gekippt hätte. Und heute passierte es gleich im ersten großen Islamisten-Prozess. Das ist schon ein rechtsstaatlicher Fortschritt.

Sehen Sie auch Unterschiede in der Rolle der Staatsanwaltschaft damals und heute?

Der Generalbundesanwalt steht in solchen Verfahren immer unter einem besonderen Druck von Regierungsseite. Das war in den 70er-Jahren so und geht Kay Nehm heute wohl nicht anders.

Kann man Kay Nehm mit dem damaligen obersten Terroristenjäger Kurt Rebmann vergleichen?

Rebmann selbst habe ich nie erlebt, aber die Bundesanwälte, die in den Prozessen auftraten, waren oft richtige Eiferer. Nehm scheint dagegen ein ganz anderer, eher sachlicher Typ zu sein, ein klassischer Strafverfolger eben.

Rebmanns Vorgänger, Generalbundesanwalt Buback, war immerhin von der RAF ermordet worden …

Das hat atmosphärisch sicher eine wichtige Rolle gespielt. Die Staatsanwälte waren damals viel mehr Partei als heute.

Auch die Gesetzgebung hat damals ganz anders in die Prozesse eingegriffen …

Ja, während der RAF-Prozesse wurde die Strafprozessordnung mehrfach verschärft, zum Beispiel um auch ohne die Angeklagten verhandeln zu können, wenn diese nach Auffassung des Gerichts zu sehr störten.

Und heute?

Strafrecht und Strafprozessrecht spielen in der heutigen Sicherheitsdiskussion fast keine Rolle. Und soweit ich es übersehe, gibt es bei den islamistischen Häftlingen auch keine automatischen Sonder- und Isolationshaftbedingungen wie bei den RAF-Gefangenen.

Warum geht die deutsche Gesellschaft heute so viel gelassener mit Terror-Angeklagten um?

Abwarten, man weiß ja nicht, was passiert, wenn es mal einen großen Anschlag in Deutschland gibt. Aber mir scheint, dass man in Deutschland derzeit vor allem vom Umgang der Bush-Regierung mit verhafteten Islamisten erschreckt ist. Und eingesehen hat, dass sich Gewalt nicht mit noch mehr Härte und Gewalt bekämpfen lässt. Vielleicht hat es unterbewusst aber auch einen Lerneffekt aus den 70er-Jahren gegeben.

Immerhin ist Otto Schily, der damals RAF-Verteidiger war, heute Innenminister …

Dieser Einfluss ist sicher vernachlässigenswert. Schily denkt wie fast alle Innenminister zuerst an die Rechte der Polizei, dann erst an die Rechte der Bürger. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH