piwik no script img

Archiv-Artikel

„Sonst hört doch keiner zu“

Sorry, nur ein Wortspiel! Aber Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat es auch nicht so mit der Sprache: Er warf Kita-Eltern vor, sie führten sich auf, „als wenn man ihre Kinder ins KZ stecken würde“

von PHILIPP GESSLER

Sarrazin hat wieder zugeschlagen – und Berlin jault auf. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat in die Trickkiste der NS-Vergleiche gegriffen, und natürlich voll daneben: In einer nichtöffentlichen Diskussion über steigende Kita-Gebühren hatte er sich über jammernde Eltern beklagt. Sie führten sich auf, „als wenn man ihre Kinder ins Konzentrationslager stecken würde“, so der Senator. Seitdem hagelt es Rücktrittsforderungen. Doch der Finanzchef des überschuldeten Landes will bleiben.

Angesichts ähnlicher Entgleisungen in den vergangenen mehr als anderthalb Jahren seit Amtsantritt (siehe Kasten) brachte die Opposition zugleich einen Rücktritt des Senators ins Spiel: CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer sagte: „Es muss ernsthaft die Frage gestellt werden, ob Sarrazin die Befähigung besitzt, ein öffentliches Amt zu bekleiden.“ Die Bündnisgrünen forderten „eine unmissverständliche Entschuldigung und Klarstellung“, und zwar in der nächsten Sitzung des Abgeordnetenhauses am Donnerstag. Die Fraktionsvorsitzenden Sibyll Klotz und Volker Ratzmann kritisierten, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) müsse erklären, „wie er mit diesem Finanzsenator weiter zusammenarbeiten will“.

Gefährlicher als diese Anwürfe dürfte jedoch die Kritik innerhalb der Koalition und der SPD sein: Landeschef Peter Strieder nannte die Äußerung Sarrazins „unmöglich“. Politiker müssten „endlich lernen, dass sich derartige Vergleiche verbieten“. Selbst Senatssprecher Michael Donnermeyer nannte den Senatoren-Vergleich „vollkommen überflüssig“. Wowereit werde Sarrazin dies auch noch einmal persönlich sagen.

Kultursenator Thomas Flierl (PDS) sah in den Worten seines Kollegen gar „eine Belastung für die Koalition“. Man werde den Vorfall im Senat „sehr hart ansprechen“. Indirekt signalisierte Flierl sogar Unterstützung für Rücktrittsforderungen: „Die Geduld neigt sich dem Ende.“ Sein Fraktionschef Stefan Liebich nannte den Vergleich etwas milder „unmöglich“. Wegen des Bedauerns des Finanzsenators über seine Worte erhebe die PDS keine Rücktrittsforderung.

Sarrazin meinte, sich angesichts der Vorwürfe so entschuldigen zu können: Er habe bei seiner frei gehaltenen Rede eben versucht, mit „plastischen Beispielen“ zu arbeiten, damit „die Leute auch zuhören“. Er räumte ein: „Meine Äußerung war zwar unmissverständlich in den Gebühren-Zusammenhang eingeordnet, aber sie war überspitzt.“ Auch den Rücktrittsgedanken wies er von sich: „Es war ein Vergleich, der nicht passt. Aber mehr kann daraus nicht gemacht werden.“

Immerhin: Sarrazins Sprecher Matthias Kolbeck fand Worte, die seinem Chef nicht über die Lippen kamen: Es tue dem Senator leid, dass er sich in der Wortwahl vergriffen habe, so Kolbeck. Er habe niemanden beleidigen wollen und nicht beabsichtigt, „einen Vergleich zum Holocaust zu ziehen oder entsprechende Assoziationen auszulösen“.

Getroffen fühlen sich einige dennoch – und keinewegs nur Eltern von Kita-Kindern: Andreas Nachama, ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde und derzeit geschäftsführender Direktor der „Topographie des Terrors“, sagte: Ein solcher Vergleich dürfe „nicht passieren“: „Er löst bei Betroffenen ein ungutes Gefühl aus.“