Ansehen durch Zuschauen

Detlef Röhtz ist anerkannter Talkshow-Beobachter. Als zum 200. Mal im „Grünen Salon“ geplauscht wurde, war er schon zum 100. Mal da – und sitzt auch heute wieder im Publikum (21.15 Uhr, n-tv)

Der beste Zwischenruf, der je gemacht wurde, kam von mir

von MAREKE ADEN

Gregor Gysi war schon vier Mal da, der liegt an der Spitze. Oskar Lafontaine drei Mal, Friedrich Merz zwei Mal, Hans Eichel, Joschka Fischer jeweils ein Mal. Jürgen Möllemann noch nie. „Der kommt auch nicht mehr“, sagt Detlef Röhtz ungerührt. Soviel fürs Protokoll, für die Ewigen-Besucher-Liste der Diskutier-Sendung „Grüner Salon“, geführt von Detlef Röhtz. Er übertrifft sie alle. Er war schon hundert Mal da, als Zuschauer.

Um halb acht kommt er jeden Montag in den Grünen Salon. Dann bekommt noch einen guten Platz. Er trägt Schlips und Kragen, Schnauzer und Backenbart. Und wie jede Woche seinen Anzug in Aubergin. Er begrüßt die Kameraleute mit Handschlag. Man kennt sich. So oft wie möglich würden sie versuchen, ihn reinzunehmen. Nur, wenn er zweimal hintereinander in der ersten Reihe sitzt, dann sagen sie ihm: „Wir können dich nicht schon wieder filmen.“ „Aber sonst sind die sehr nett“, sagt Herr Röhtz.

Die Moderatoren betreten den Salon. Um fünf vor neun erscheint Claus Strunz. „So ein leiser Typ“, sagt Detlef Röhtz. Strunz nickt ihm zu. Andrea Fischer kommt und wird von zwei Männern angesprochen, Bekannten, wie es aussieht, mit denen sie sich unterhält und herzlich lacht. Mitten im Gespräch schaut sie herüber. Sie nickt ihm zu. „Ja, man kennt sich“, sagt Röhtz.

Schulklassen sitzen im Publikum und Politikstudenten, Journalisten und ein paar Leute über 50, wie Herr Röhtz. Eine Zeit lang hat er sich immer wieder mit einer Dame unterhalten, bis sie nicht mehr kam. Es ist heiß vom Kameralicht.

Röhtz weiß, wie alles abläuft. Er spricht wie ein Hellseher. „Gleich geht Strunz vor die Kamera, um die Sendung schon mal anzukündigen.“ Strunz steht auf und kündigt an. „Jetzt kommen die mit dem Bier vom Sponsoren.“ Das Glas mit Wernesgrüner wird herbeigetragen.

Dann geht es los. Im 198. „Grünen Salon“ ist Ulla Schmidt, Fischers Nachfolgerin als Ministerin für Gesundheit und soziale Sicherung, der Interviewgast. Die beiden fachsimpeln ein wenig über Krankenkassen und Renten. Ab und an macht Claus Strunz eine flapsige Bemerkung. Herr Röhtz sagt leise „ja“ oder „genau“ oder „so isses“. Manchmal schüttelt er entsetzt den Kopf.

„Der beste Zwischenruf, der je gemacht wurde, der kam ja von mir“, sagt Herr Röhtz in der Werbepause, in der man ihm – wie immer – einen Kirschsaft bringt. Da wollte Cornelia Piper nichts zu Möllemanns Geschäften sagen. „Vielleicht hat der ja auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben“, habe er laut gerufen. Eine Anspielung auf Helmut Kohls Ehrenwort, nicht zu sagen, wer ihm Bargeldspenden überreichte. „Die Leute haben alle geklatscht, und im Fernsehen war es später auch gut zu hören.“

Zum Glück wird die Sendung wiederholt. Ein paar Stunden später um 1.15 Uhr in der Nacht, am Dienstagmittag und am Samstagabend. Herr Röhtz schaut sich die Sendung immer noch einmal an. Das sei eine gute Idee, man sehe sie völlig anders – und sich selbst.

In der Pause wird das Sponsorenbier aufgefüllt. Detlef Röhtz interessiert sich heute für die Männer in den schwarzen Anzügen, die am Rand sitzen. „Ulla Schmidt hatte beim letzen Mal noch keine Bodyguards.“

Die Sendung ist vorbei, und Herr Röhtz eilt zur Gesundheitsministerin. Sie hat ihm das letzte Mal ein Herzchen in die „Herzlichen Grüße“ auf seine Autogrammkarte gemalt. Herr Röhtz hat immer einen Stapel selbst gefalteter Blätter dabei, alle gleich, auf allen eine bunte Linie – für die Einheitlichkeit. Ulla Schmidt, die ihren Fuß in einem Verband hat, fragt er: „Na, ist Ihnen Ihre schwere Gesetzgebung auf den Fuß gefallen?“ Die Ministerin lacht, sagt nichts und schreibt „Ihre Ulla Schmidt“.

Zeitung liest er kaum, nur die liegen gelassenen. Sein Job erlaube ihm die Lektüre nicht: zu wenig Freizeit und während der Arbeit zu anstrengend. Sein gesamtes Wissen über Politik hat er aus dem „Grünen Salon“ und einigen anderen Talkshows. Er hat ein klein bekritzeltes Kärtchen dabei mit Fragen und Vorschlägen zur Rente. Er hätte gern noch mit der Ministerin diskutiert, aber die muss schon gehen.

Schon zu DDR-Zeiten hat Herr Röhtz immer Talkshows geschaut. „III nach neun“ war sozusagen eine Initialisierung. Alles, was im Westfernsehen über Politik zu sehen war, hat er gesehen. Den „absoluten Spitzenmann“ Bednarz, jeden Tag „heute“ und die „Tagesschau“. Falls es je so etwas wie eine Ost-Talkshow gegeben hat, er hat sie immer vermieden. Die Unterhaltungssendungen aus dem Westen waren auch nie sein Stil. „Wenn mehr Leute das so gemacht hätten wie ich, wäre die DDR vielleicht schon eher vorbei gewesen“, sagt er.

Zum Regelbesucher wurde Röhtz vor drei Jahren. Mario Adorf war der erste Interviewte, den er sah, in der 87. Sendung. Er fand es toll, dass man ihn so ganz umsonst anschauen konnte, nur nach Kartenvorbestellung. Seither geht er so oft es geht. Dass die 200. Sendung seine 100. wurde, ist allerdings Zufall. Noch im Januar dachte er, dass es die 102. werden würde. Dann wurde er krank. Zwei Wochen lag er flach. „Ganz blöde Grippe“, sagt er. „Aber passt ja.“

Sein Kollege von der Diensteinteilung weiß schon, dass er montags nicht arbeiten möchte. Er ist Nachtarbeiter im Wachdienst, Objektschutz, auf 100.000 Quadratmeter eines Reifenwerks muss er aufpassen, obwohl er nur einen kleinen Teil überblicken kann. Vor vier Jahren verließ ihn seine zweite Frau, seine sechs Kinder sieht er kaum.

„Man gönnt sich ja sonst nichts“, sagt er nachdem er das Autogramm sorgfältig weggepackt hat. Bis nächsten Montagabend besteht seine Woche aus Arbeit und Fernsehen. Zum Abschied schüttelt ihm Claus Strunz die Hand. Das freut ihn. „Dass man auch durch Zuschauen Anerkennung und Ansehen bekommt, ist doch schon schön“, sagt er.