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Archiv-Artikel

Solidarität nützt auch den Reichen

Der Wettbewerbs-Föderalismus ist kein Zukunftsmodell. Er wird als ungerecht empfunden und ist nicht einmal wirtschaftsfreundlich

FREIBURG taz ■ Es ist wie in einer Familie mit vielen Kindern. Entweder es herrscht ständige Konkurrenz, und jeder will der Beste sein – oder alle, alle halten zusammen, und jeder hilft dem andern. Auch im Bundesstaat ist beides möglich, Konkurrenz der Bundesländer oder Kooperation. Und seit Jahrzehnten wird diskutiert, was den Menschen, der Wirtschaft und der Gesellschaft den größeren Nutzen bringt.

Für den Wettbewerbsföderalismus spricht die Analogie zur Marktwirtschaft. Jedes Bundesland soll seinen eigenen Weg finden. Bürger und Unternehmen können dann quasi als Kunden entscheiden, wo sie sich ansiedeln, welche Lösungen ihren Bedürfnissen am ehesten entsprechen. Innovation wird belohnt und damit beschleunigt. Erfolgreiche neue Wege würden von den anderen Ländern übernommen, aber auch unterschiedliche regionale Bedingungen könnten dabei gut berücksichtigt werden. Bei Wahlen würde die Bevölkerung das politische Personal ihres Landes für gute Arbeit belohnen und für Misserfolge abstrafen. Maßstab ist der Wettbewerb der Länder. Jede Landesregierung wäre für den eigenen Erfolg verantwortlich.

Es ist offensichtlich, dass dieses Modell in Deutschland bisher nicht einmal ansatzweise verwirklicht ist. Fast alle Gesetze werden auf Bundesebene gemacht, und dort, wo die Länder die Regeln selbst bestimmen könnten, verzichten sie weitgehend darauf. Im Polizeirecht gibt es einen Mustergesetzentwurf, an dem sich alle mehr oder weniger orientieren. Das Medienrecht ist durch Staatsverträge weitgehend vereinheitlicht, und selbst im Schulrecht, wo die Unterschiede am größten sind, versucht die Kultusministerkonferenz, so viel wie möglich zu koordinieren.

Die Länder sind zwar für die Ausführung der meisten Gesetze zuständig und können dabei durchaus mit besonderer Effizienz überzeugen. Im Landeshaushalt schlägt sich dies aber nur bedingt nieder. Per Länderfinanzausgleich werden überduchschnittliche Einnahmen und Sparerfolge wieder nivelliert. Und bei Wahlen können die Bürger ihre Landesregierung vor allem an vereinzelten politischen Akzenten im Gesetzesvollzug messen sowie an ihrem Auftreten auf der Bundesebene, insbesondere im Bundesrat.

De facto dominiert in Deutschland also der Kooperationsföderalismus. Dessen Ziel sind möglichst einheitliche Lebensbedingungen, wobei Bund und finanzstarken Länder den schwachen Gebieten helfen, diese ebenfalls zu erreichen. Dieses Gleichheitspostulat ist in der Bevölkerung nach wie vor sehr populär und entspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden. Niemand soll schlechtere öffentliche Leistungen erhalten, nur weil er in einem finanzschwachen Bundesland lebt. Es wird – nicht zu Unrecht – unterstellt, dass sich im Konkurrenzföderalismus, letzlich nicht die innovativsten Länder durchsetzen würden, sondern diejenigen, die aufgrund historischer Zufälle die besten Ausgangschancen haben.

Kein Wunder, dass die Wiedervereinigung für den föderalen Wettbewerbsgedanken einen herben Rückschlag bedeutete. Dass zwischen West- und Ost-Ländern bis auf weiteres vor allem umverteilt werden muss, liegt auf der Hand. Der Versuch, der reichen Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, den Finanzausgleich zu ihren Gunsten zu kippen, musste daher beim Bundesverfassungsgericht scheitern. Gerade in der ökonomischen Krise wollten die Richter den Solidaritätsgedanken nicht nach hinten rücken.

Aber nicht nur aus der Sicht der Schwachen ist der kooperative Bundesstaat attraktiv. Auch für Bürger, die in ein anderes Bundesland ziehen, ist es angenehm, wenn sie (und ihre Schulkinder) überall ähnliche Bedingungen vorfinden. Und Unternehmen, die in verschiedenen Ländern aktiv sind, schätzen es, wenn sie nicht mehrere Rechtslagen gleichzeitig beachten müssen. Immerhin wurde der Europäische Binnenmarkt geschaffen, um den Waren- und Kapitalverkehr zu erleichtern. Da wirkt es geradezu anachronistisch, jetzt wieder auf Kleinstaaterei und Rechtszersplitterung zu setzen. Anders als gedacht, könnte Deutschland durch den Wettbewerbsföderalismus für Investoren eher uninteressanter werden.

Wenn aber der Kooperationsföderalismus auch weiterhin das Leitbild bleibt, dann ist es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die Länder bei der anstehenden Föderalismusreform deutlich mehr Befugnisse als bisher erhalten werden. Im Vordergrund wird eher stehen, ihren Einfluss im Bund zurückzudrängen, damit wenigstens auf der Ebene, auf die es ankommt, schneller gehandelt und regiert werden kann.

CHRISTIAN RATH