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Archiv-Artikel

Hessens Kultur heißt Provinz

Die Rede von der Kulturhoheit der Länder ist ein Missverständnis. Kultur wird in Städten gemacht. Die brauchen mehr Geld – fast egal, woher es kommt

Tatsächlich schultern die Gemeinden 50 Prozent der KulturausgabenZum Beweis der Existenzberechtigung von Länderverwaltungen taugt die Kultur am wenigsten

von BRIGITTE WERNEBURG

Im Frühjahr, als die Hoffnung noch groß war, dass die Fusionierung der Kulturstiftung des Bundes und der Länder in eine „Deutsche Nationalstiftung“ gelingen werde, machte Norbert Lammert, der kulturpolitische Sprecher der CDU, dabei auf ein paar Ironien aufmerksam. So sitzt die Bundeskulturstiftung sinnigerweise im sachsen-anhaltischen Halle, während die Kulturstiftung der Länder in der Hauptstadt residiert. Steht also wichtiges deutsches Kulturgut aus Privatbesitz zum Verkauf, werden aus Ländergeldern Museumsankäufe von nationaler Bedeutung bestritten, während regionale Projekte wie beispielsweise das Meister-Eckhart-Jahr in Erfurt aus Bundesmitteln bezahlt werden.

Doch man soll sich nicht täuschen. Diese Ironien sind unvermeidlich. Auch wenn es immer wieder Versuche gibt, die Angelegenheiten der Kultur fein säuberlich in solche der Länder und solche des Bundes zu sortieren. Sie lassen sich so nicht auseinander dividieren. Denn es gibt keine Kultur der Länder, was dem Bund die Einmischung leicht macht. Die Kultur von Hessen heißt Provinz. Das Missverständnis, die Länder hätten eine eigene Kulturhoheit, ist geschichtlich.

Die Länder sehen sich in der Nachfolge der alten Fürsten- und Herzogtümer, die einmal auf ihrem Gebiet bestanden und denen sie ihre Kulturschätze, angefangen bei herausragenden Bauwerken bis hin zu ihren vielen kleinen Theatern, verdanken. Doch Kultur wurde in Deutschland wie auch sonst auf der Welt selbstredend in den Städten gemacht.

Und dort wird sie noch immer gemacht. Nur deswegen ist große Kultur auch einmal in der Provinz zu finden, die um solche historischen Zentren herum liegt. Die Pflege der Kultur, die den Bundesländern obliegt, ist die Pflege der Städte und Gemeinden, denn sie sind es, die sich an erster Stelle um ihre althergebrachten Kulturgüter kümmern müssen. Das bereitet gelegentlich auch den Boden für eine interessante Kunst- und Kulturszene der Gegenwart.

Diese Fakten werden auch durch die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ belegt werden. Sie konstituiert sich in diesem Herbst und soll in zwei Jahren eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation liefern. Wichtigster Punkt ihrer Agenda ist die Frage nach der öffentlichen wie privaten Kulturförderung. Sie stellt sich, so heißt es in der Drucksache 15/1308 des Deutschen Bundestags, „vor dem Hintergrund der bedrohlichen Lage der Kommunen und dem sich verstärkenden Druck auf ihre Kulturhaushalte.“ Tatsächlich schultern die Gemeinden die Hauptlast an den Kulturausgaben. Von den rund 9 Milliarden Euro, die in Deutschland dafür ausgegeben werden, bringen sie rund 50 Prozent auf, es folgen die Länder, auf die gut 40 Prozent entfallen und schließlich der Bund mit inzwischen etwa fast 10 Prozent. Doch das allein sagt noch nichts über rechtliche Zuständigkeiten aus. Sie sind zwischen Bund und Ländern nicht eindeutig geschieden.

Dass diese mangelnde Trennschärfe heute mehr auffällt als ehedem, liegt vor allem an zwei Einrichtungen, die die rot-grüne Bundesregierung mit ihrem Amtsantritt 1998 etablierte. Zum einen richtete sie mit ihrer Regierungsmehrheit im Bundestag einen Ausschuss für Kultur und Medien ein, zum andern erfand der Bundeskanzler das Amt eines Bundesbeauftragten für Kultur und Medien im Rang eines Staatsministers im Kanzleramt. Damit entstand eine entscheidungsfähige und strukturbildende Instanz des Bundes.

Die Länder hätten ihre Chance nutzen und gleichfalls eine ähnlich kompetente Vertretung ihrer Interessen dagegen setzen können. Aber dazu sind sie bis heute nicht bereit. Sie verstecken sich in einem ominösen Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz, dem der Bund einmal jährlich entweder vorab (bei institutionellen Förderungen und Projektförderlinien für Einzelprojekte) oder im Nachhinein (geförderte Einzelprojekte) Bericht zu erstatten hat.

Die Länder wollen mitreden, aber bitte nicht mit einer Stimme. Das jüngste Beispiel lieferte Bayern, das die Fusionierung der Kulturstiftungen der Länder und des Bundes zu Fall brachte. Der Freistaat fordert ein Vetorecht für jedes Bundesland, um die Förderung eines Projekts durch die gemeinsame Stiftung verhindern zu können. Es wäre ein mächtiges Blockadeinstrument, dessen Nutzen von keiner Seite zu erkennen ist.

Die Einrichtung der Bundeskulturstiftung nun, die jetzt erst einmal parallel zur Kulturstiftung der Länder weiter arbeiten wird, ist das andere kulturpolitische Signal von Rot-Grün. Vor Jahrzehnten als Nationalstiftung angedacht, sollte sie eigentlich Streitfälle der vermischten Förderpraxis schlichten und für klare Zuständigkeiten sorgen – Bund und Länder hätten einen autorisierten Ansprechpartner gehabt. Doch da die Länder in ihr nur den weiteren Angriff auf ihre Kulturhoheit sahen, die sie leider als „Kernstück ihrer Eigenstaatlichkeit“ beschreiben, konnte sie so nicht konzipiert werden.

Zum Beweis der Existenzberechtigung von Länderverwaltungen taugt die Kultur am wenigsten. Nach der Pisa-Studie fehlt schon den Kindern und Jugendlichen kulturelle Kompetenz. Sie vor allem müsste gefördert werden. Es käme nicht auf Events und glanzvolle Auftritte eifersüchtiger Länderfürsten an, sondern auf Musikschulen, Bibliotheken und Volkshochschulen: Aufgaben, die zu klein für die Länder sind und mal wieder in der Obhut der Städte und Gemeinden liegen. Ob sie von einem Bundesland oder vom Bund unmittelbar unterstützt werden, kann ihnen ziemlich egal sein. Sie brauchen mehr Geld. Käme es vom Bund, der weniger Anlass hat, ihnen mit provinziellen Profilierungswünschen am Zeug zu flicken, hieße das mehr eigene Gestaltungsfreiheit.

Wer hat „Good Bye Lenin“ bezahlt? Mit der Aufgabe, eine international wettbewerbsfähige Filmwirtschaft aufzubauen, sind die Länder schon seit Jahren überfordert. Ihre Konkurrenz hat die nötigen, konzentrierten Investitionen in die Infrastruktur verhindert, ohne die kein privates Kapital zur Produktion großer Filme mobilisiert werden kann. Stattdessen subventionieren die Länder lieber auch noch den Export von Filmen in eigener Regie. Lehrreich in diesem Zusammenhang: In den USA soll der Angriff auf Hollywood von New York aus erfolgen. Die Stadt, nicht der Bundesstaat, unterstützt die Investition enormer Summen für den Aufbau neuer Studios und konkurriert so mit den Anstrengungen der Stadt Los Angeles um ihre Hauptindustrie.