Das Klassenziel ist erreicht

Ergebnis eines flächendeckenden Schulvergleichs: Berliner Zweitklässler können sich mit denen aus Brandenburg und sogar aus Bayern durchaus messen. Migrantenkinder schneiden schlecht ab

VON SABINE AM ORDE

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) kann aufatmen. Ein kleines bisschen zumindest. Die nächste Katastrophenmeldung in Sachen Schülerleistungen ist ihm erspart geblieben. Die hiesigen Zweitklässler, das zeigen die Ergebnisse der flächendeckenden Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik, können sich mit den Brandenburger und auch – und das ist viel überraschender – mit den bayerischen SchülerInnen messen lassen. „Unsere Ergebnisse liegen mit Brandenburg und Bayern gleichauf, und das bei einer viel komplizierteren Sozialstruktur“, freute sich Böger denn auch, als er gestern die Ergebnisse vorstellte.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte ist zwar nicht neu, aber wieder einmal dramatisch: Die Leistungen der Kinder mit deutscher und mit nichtdeutscher Muttersprache klaffen zum Teil stark auseinander. Während 23 Prozent der deutschen SchülerInnen schwache und 40 Prozent starke LeserInnen sind, sind es bei Kindern nichtdeutscher Herkunft 60 Prozent schwache und 13 Prozent starke Leser. Ähnlich ist es in Mathematik. Von den deutschen Kindern gehören 23 Prozent zu den starken und 43 Prozent zu den schwachen Rechnern, bei den SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft ist es fast umgekehrt: Von dieser Gruppe können 21 Prozent gut und 49 Prozent schlecht rechnen. Die Schule schafft es bislang also nicht, die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder auszugleichen. Hier haben wir eine Herkulesaufgabe vor uns“, sagte Böger. Er gab aber auch zu bedenken, dass nicht nur die Muttersprache, sondern auch der Sozialstatus und das Ausbildungsniveau der Eltern für die Leistungen der Kinder von großer Bedeutung sind.

Insgesamt haben an den Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik, die im Mai und Juni zeitgleich in Berlin, Brandenburg und Bayern geschrieben wurden, 25.000 Berliner SchülerInnen teilgenommen. Für die öffentlichen Schulen war die Teilnahme verbindlich, Schulen in freier Trägerschaft konnten sich beteiligen, mussten es aber nicht. Korrigiert wurden die Arbeiten von den KlassenlehrerInnen, die die Ergebnisse dann an die Bildungsverwaltung weitergaben. Benotet wurden die Arbeiten nicht. Auch die Zehntklässler haben vor den Sommerferien Vergleichsarbeiten geschrieben, die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen.

Die bislang genannten Ergebnisse der Zweitklässler sind interessant, aber für den Bildungssenator nicht das Entscheidende. Denn die Vergleichsarbeiten sollen vor allem eines leisten: Sie sollen die Unterrichtsqualität an den Schulen messen und damit den LehrerInnen, aber auch den Eltern eine Grundlage bieten, um über Stärken und Schwächen der eigenen Schule ins Gespräch zu kommen. Deshalb erhalten die Schulen jetzt die Ergebnisse ihrer einzelnen Klassen, die durchschnittlichen Werte der Schule und den Berliner Landesdurchschnitt.

Und diese Informationen haben es in sich: Zwischen den einzelnen Klassen einer Schule liegen in manchen Fällen Welten, wie Tom Stryck es nennt. Was das bedeutet, macht der zuständige Experte der Bildungsverwaltung an einem konkreten Beispiel deutlich: Von den 19 Aufgaben der Mathematikarbeit lösten die SchülerInnen der Klasse a durschnittlich 11, die der Klasse b aber nur 8,5. „Dieser Unterschied entspricht dem Lernzuwachs eines ganzen Jahres“, erläutert Stryck. „Und das beim selben Anteil an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache.“ Läuft es an dieser Schule gut, suchen Schulleiterin und LehrerInnen jetzt gemeinsam nach den Ursachen, denken über Verbesserungsmöglichkeiten nach, um die gesetzten Qualitätsstandards zu erreichen, und kommen darüber mit den Eltern ins Gespräch. Diese bekommen übrigens auch die Ergebnisse ihres Kindes.

Veröffentlicht werden die Daten der einzelnen Schule nicht – außer wenn sich die Schulkonferenz mit Zweidrittelmehrheit dafür entscheidet. Auch ein Ranking der Schulen wird es nicht geben. Das wäre nach Ansicht des Experten auch gar nicht aussagekräftig. Denn die Leistung einer Schule im wohl situierten und eher monokulturellen Zehlendorf und die im armen und multikulturellen Kreuzberg kann man nicht anhand der Arbeiten miteinander vergleichen. Dazu müsste der soziale Hintergrund der Kinder mit berücksichtigt werden.

Es gibt nach Angaben der Bildungsverwaltung aber auch Schulen, die trotz schwieriger Sozialstruktur unverhofft gut oder trotz besserer Sozialstruktur überraschend schlecht abschneiden. Einzelne Beispiele will die Verwaltung nicht nennen, sie hat aber die Mittelwerte der Bezirke errechnet. Dabei schneidet Charlottenburg-Wilmersdorf trotz vieler Migrantenkids erstaunlich gut, Marzahn-Hellersdorf trotz geringer Migrantenquote erstaunlich schlecht ab. Dieses Kriterium reicht eben zur Erklärung allein nicht aus.