: Abgabe oder lehren
Am 1. September suchten noch 167.000 Jugendliche eine Lehrstelle. Nun könnte doch eine Zwangsabgabe für Ausbildungsmuffel näher rücken
BERLIN dpa/ap ■ Die Wirtschaft muss sich auf Zwangsabgaben einstellen, wenn sie nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Nach SPD-Generalsekretär Franz Müntefering kündigte gestern auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gesetzliche Schritte angesichts der dramatischen Situation auf dem Ausbildungsmarkt an. „Keiner darf mehr von der Schule ins Nichts fallen“, betonte Müntefering. Er zeigte sich „hoch unzufrieden“ mit den Firmen: „Nur 30 Prozent der Unternehmen bilden aus.“ Er ließ offen, ob es sich bei den gesetzlichen Regelungen um eine Abgabe, eine Umlage oder eine andere Maßnahme handeln soll.
Clement sagte im Deutschlandfunk, wenn das duale Berufsbildungssystem scheitere, müsse der Gesetzgeber handeln. Er fügte hinzu: „Ich selbst gehöre zu denen, die überzeugt sind, das Tun aus freien Stücken ist besser, ist erfolgversprechender.“
Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete eine Ausbildungsplatzabgabe als gerechtfertigt, sollten sich die Betriebe nicht ausreichend um Lehrstellen bemühen. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass es ohne gehen werde. „Ich würde da nicht von Zwang reden“, sagte Schröder im ZDF-Sommerinterview. Er gehe davon aus, dass die Unternehmen ihre Anstrengungen zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen verstärken werden.
Die Regierungsappelle verhallten bislang offenbar weitgehend ungehört. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit (BA) suchten zum 1. September bundesweit noch 167.000 Jugendliche eine Lehrstelle. Eine Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter den DAX-30-Firmen hatte ergeben, dass viele Großunternehmen branchenübergreifend dieses Jahr weniger Lehrlinge eingestellt haben als in den Vorjahren. Dazu gehören die Allianz, die Deutsche Bank, die Post, die Commerzbank, die Lufthansa, MAN, SAP und Siemens. Zusätzliche Lehrstellen haben danach nur VW, E.ON, Henkel und die Hypo-Vereinsbank geschaffen. Experten beziffern die Zahl der Ende des Monats noch lehrstellenlosen Jugendlichen auf bis zu 40.000. Clement rechnet bis dahin mit nur noch 20.000 unvermittelten Bewerbern. DIHT-Präsident Ludwig Georg Braun warf der BA vor, die Lage zu dramatisieren. Seiner Ansicht nach wird die Lehrstellenlücke am Jahresende bei 20.000 liegen.