Auf der schiefen Bahn

Auf der Strecke Hamburg – Lübeck fallen seit Jahren ständig Züge aus. Angesichts drohenden Wettbewerbs gelobte Bahnchef Mehdorn Besserung

„Mal steht ‘ne Kuh da, dann ist ‘ne Lok defekt, dann wieder ist wer krank“

aus HamburgGERNOT KNÖDLER

Angeblich gehört sie schon zum Lebensgefühl im Hamburger Osten: die notorische Unzuverlässigkeit der Bahnverbindung Hamburg – Lübeck. Wegen des schlechten Taktes, der Verspätungen und Zugausfälle fordert die Hamburger Bürgerschaft nun einstimmig Abhilfe: Der Senat möge zusammen mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung das Konzept für eine S-Bahn bis Bad Oldesloe auf dem halben Weg nach Lübeck erarbeiten. Noch vor zwei Jahren war der schwerfällige Zug mit Diesellok als S-Bahn ausgewiesen und verblüffte ahnungslose Neukunden mit Taktzeiten von einer halben Stunde.

Doch auch die Stammkundschaft schimpft. „Das ist die schlimmste Strecke von ganz Hamburg“, sagt Klaus Vit aus dem Stadtteil Rahlstedt. Seit 15 Jahren fährt er die Strecke, seit 15 Jahren hat er Ärger mit der Bahn. „Mal steht ‘ne Kuh da, dann ist ‘ne Lok defekt, dann wieder ist wer krank und es gibt keinen Ersatz“, ärgert er sich. Dass für so einen Fall keine Vertretung bereitsteht, versteht er nicht: „Wenn ein Pilot der Lufthansa krank ist, fällt der Flug auch nicht aus.“

Waltraut Klaaß fährt einen Teil der Strecke seit einem Jahr. „Es ist unglaublich!“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. Sie hat Arzttermine, zu denen sie pünktlich erscheinen muss. „Ich plan‘ das jetzt schon so, dass ich eine Stunde früher fahre“, sagt sie. Einmal sei sie mit fünf weiteren Reisenden ausgestiegen, um, wie angekündigt, ersatzweise per Bus weiterzufahren. Der kam aber nie.

Beim Hamburger Verkehrsverbund (HVV), der seit Dezember 2002 die drei nördlich angrenzenden Landkreise einschließt, ist das Problem bekannt. „Diese Häufung ist uns auch nicht ganz nachvollziehbar“, sagt Sprecherin Gisela Becker. Über Sanktionsmöglichkeiten verfüge der Verbund nicht. Ein Qualitätssteuerungssystem werde aber vorbereitet. Den Eisenbahnern drohen Zuckerbrot und Peitsche.

Auch bei den Verhandlungen zum letzten Verkehrsvertrag Schleswig-Holsteins mit der Deutschen Bahn war die Strecke Thema. Bahnchef Hartmut Mehdorn versprach im April, er werde eine Task Force einsetzen, die sofort auf Unregelmäßigkeiten reagieren und dauerhafte Lösungen erarbeiten solle. Seit März hält die Bahn Ersatzzüge vor, seit Juli mobile Techniker für schnelle Reparaturen.

Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis zufolge hat sich die Tätigkeit der Task Force bereits segensreich bemerkbar gemacht. Er macht das an den Zahlen aus der Zeit zwischen dem 1. Juni und dem 7. September dieses Jahres fest: 91 oder 89 Prozent aller Züge – je nach Fahrtrichtung – seien höchstens drei Minuten zu spät gekommen, 96 oder 98 Prozent kamen maximal fünf Minuten zu spät. „Bei 24 Minuten Fahrzeit ist das subjektiv viel“, räumt Meyer-Lovis ein.

23-mal seien Züge ausgefallen, woran die Bahn häufig aber keine Schuld trage, sagt Meyer-Lovis. Gängig seien zum Beispiel „Brückenanfahrschäden“ wie an der Brücke Bovestraße. Wenn Lastwagenfahrer die maximale Durchfahrtshöhe nicht beachteten, müsse die Brücke auf Schäden untersucht werden. Die Züge müssen solange warten. Das Gleiche gilt, wenn Kinder am Gleis spielen. Die Dieselloks seien in der Zeit fünfmal ausgefallen. Wie oft fehlendes Personal für Ärger sorgte, bleibt offen.

Die Task Force wird sich ran halten müssen, will sie den immer schlechter werdenden Ruf der Regionalbahnlinie retten. Denn Schleswig-Holstein will die Strecke ausschreiben: Ab Dezember 2009 könnte ein Konkurrent der Bahn die Strecke übernehmen.