piwik no script img

Archiv-Artikel

Schlechte Träume im Hasenstall

Betten am Arbeitsplatz haben nichts mit Ruhe zu tun, entschied schon das Bundesarbeitsgericht. Der EuGH wird es wohl genauso sehen

BERLIN taz ■ Man könnte sagen, der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss heute über den Bereitschaftsdienst nur entscheiden, weil nicht feststeht, ob Hasenställe ausreichend Ruhe gewähren. Hasenställe, so nennen Ärzte in manchen Krankenhäusern die kleinen Räume, in denen sie sich während eines Bereitschaftsdienstes schlafen legen dürfen, wenn sie nicht arbeiten müssen. Noch nicht mal Hasen würde man so wenig Platz bieten, sagen sie.

Eigentlich steht schon fest, dass sie tatsächlich nicht so arbeiten dürfen, wie sie arbeiten: Nach einer achtstündigen Tagschicht im Krankenhaus gleich dort bleiben für eine Schicht aus sechzehn Stunden, die zwar Bereitschaft heißt, aber oft aus viel Rennerei und mit Glück einigen Schlafpausen besteht. Meistens wird nachts die Tagesarbeit einfach fortgeführt – Korrespondenz, Standardoperationen –, manchmal am Morgen wiederum weitergearbeitet.

Dass dergleichen nicht sein darf, stellte sich heraus, als spanische Ärzte vor drei Jahren ihre „atenciòn continuada“, ihre „ununterbrochene Anwesenheit“, im Krankenhaus vom EuGH überprüfen ließen. Das Gericht befand, es handelt sich nicht um Ruhe-, sondern um Arbeitszeit, und damit sei die europäische Höchstgrenze an Stunden pro Woche überschritten.

Die Bundesregierung und Klinikbetreiber behaupteten jedoch, das Urteil lasse sich nicht auf Deutschland übertragen. Die spanische „atenciòn continuada“ sei härter als der deutsche Bereitschaftsdienst. Insbesondere dürften deutsche Ärzte anders als spanische lesen, fernsehen oder eben sogar schlafen. Zumindest die Zeit, in der ein Arzt tatsächlich schläft, solle danach nicht als Arbeitszeit angerechnet werden.

Eine solche Einteilung ist allerdings problematisch: „Oft ist die Ruhezeit nur eine fixierte Größe. Wie viel ein Arzt tatsächlich gearbeitet hat und wie viel er schlafen durfte, wird hinterher nicht mehr überprüft“, sagt Sybille Golkowski, Sprecherin der Berliner Ärztekammer. Viele Ärzte beschreiben zudem, der Schlaf am Arbeitsplatz sei schon wegen seiner Unberechenbarkeit und wegen der kümmerlichen Schlafgelegenheiten nicht vergleichbar mit dem zu Hause.

Ähnlich sieht es auch das Bundesarbeitsgericht, das vergangenen Februar über einen ähnlichen Fall zu entscheiden hatte. Die Anwesenheit in den Räumen des Arbeitgebers reiche, um die Bereitschaft als Arbeit zu qualifizieren. „Die Beeinträchtigung liegt danach bereits im Fehlen der Möglichkeit zur Selbstbestimmung über den Aufenthaltsort […]“, heißt es im Urteil. Selbst konnte das Bundesarbeitsgericht die Rechtslage aber nicht an den europäischen Standard anpassen. Dazu ist die Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes notwendig.

Es spricht viel dafür, dass der EuGH den Fall genauso einschätzen wird. Der europäische Generalanwalt Damaso Ruiz-Jarabo hat sich in seinem Schlussantrag bereits dieser Meinung angeschlossen: Bereitschaftsdienste seien „in vollem Umfang“ Arbeitszeit. Sein Plädoyer ist zwar nicht bindend. Der EuGH folgt solchen Gutachten aber oft.

Für Regierung und Klinikbetreiber wird es dann schwieriger, sich auf die bislang unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu berufen – und nichts zu tun. Entweder das Arbeitszeitgesetz wird geändert. Oder neue Arbeitszeitmodelle sorgen dafür, dass Ärzte nur noch so viel arbeiten, wie das Europa-Recht erlaubt. MAREKE ADEN