: Bauen für die Stadt
Der Berliner Architekt Josef Paul Kleihues, früherer Direktor der Kreuzberger IBA, ist tot. Ein Baumeister auf der Suche nach dem „Gedächtnis der Stadt“
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Er war selbstbewusst: Als die taz Josef Paul Kleihues einmal zu einem Interview über die neue Bebauung Berlins nach dem Mauerfall einlud, nahm er an, wollte aber nur über seine eigenen Architekturen sprechen. Arrogant war er auch: Der Palast der Republik, sagte Kleihues, habe höchstens die Qualität einer drittklassigen Kaufhausfiliale. Und wer in sein Büro kam, konnte sehen, was er von der linken Szene oder den Hausbesetzern hielt: nämlich gar nichts. Er machte sich noch lustig über sie. Ein von solchen rot beschmiertes Bauschild hing in Kleihues’ Büro als Kunsttrophäe. Der Mann hatte jedenfalls Humor, und es ist kaum zu glauben, dass Kleihues ein Produkt der Hausbesetzerzeit, ja ein Teil der wilden Kreuzberger 1970er-Jahre war.
Josef Paul Kleihues, sein Name und das Jahr 1979 stehen für eine Zeitenwende im deutschen und internationalen Städtebau: Mit dem Programm zur „kritischen Rekonstruktion“ war damals eine Gruppe unbekannter Stadtplaner in die Öffentlichkeit gegangen. Ihr Ziel war die Wiedergewinnung der Innenstadt als Wohnort. Das Planungsgebiet umfasste den Bezirk Kreuzberg, insbesondere die südliche Friedrichstadt und den benachbarten Stadtteil „SO 36“. Der Kopf jener Gruppe war Kleihues, damals Direktor der „Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA)“, die zum Synonym für den Wiederaufbau eines zerstörten Stadtbezirks werden sollte und seither als methodisches Vorbild für fast alle Rekonstruktionsmaßnahmen historischer Stadtkerne zwischen Madrid und Moskau dient.
Wenn die Stadt nun den Architekten des Kant-Dreiecks, des Hamburger Bahnhofs, des neuen Neuköllner Krankenhauses, zahlreicher Büro-, Wohn- und Geschäftsbauten oder der Häuser Liebermann und Sommer ehren und sich an ihn erinnern wird als großen Architekten, sollte man den Stadtplaner Kleihues als gleichbedeutend, wenn nicht zuerst nennen.
Kritische Rekonstruktion
Kleihues, 1933 in Rheine in Westfalen geboren und an den Universitäten in Stuttgart und Paris zum Architekten ausgebildet, zog es früh nach Berlin, die Stadt seiner preußischen Idole Gilly, Schinkel und Poelzig. 1962 eröffnete er hier sein Büro. Die frühen Hauptwerke, die Tempelhofer BSR-Stadtreinigungswerke (1978) oder der Vineta-Wohnblock in Wedding ein Jahr davor, zeigten schon damals worauf es dem „störrischen Westfalen“ ankam: auf klare Formen, die gute Handwerklichkeit und Funktionalität – aber auch auf die historischen Bezüge der Bauten – „auf ihr Gedächtnis“, wie Kleihues es nannte. Ein Wohnhaus sollte als solches erkennbar bleiben – was im postmodernen Zeitalter nicht eben selbstverständlich war.
Gleich ein ganzes „Gedächtnis der Stadt“ wieder auszugraben und zu beleben gehörte ab 1979 zu den großen Aufgaben Kleihues’. Das Leitbild des Nachkriegsberlin war bis Ende der 1960er-Jahre die verkehrsgerechte, modernistische Stadt. Bauen und wohnen in historischen Quartieren – oder was davon übrig war – galt nicht als en vogue. Der Bezirk Kreuzberg war besonders bedroht von Leerstand und Abrissvisionen – die Kochstraße etwa sollte zur Stadtautobahn verbreitert werden. Der Grünstreifen neben dem taz-Verlagshaus erinnert an die geplante Breite der Trasse. Der Paradigmenwechsel hin zu innerstädtischem Wohnen, der Kampf gegen Bodenspekulation und die neue Wertschätzung historischer Bausubstanz führte nicht nur zu den Hausbesetzungen, sondern auch zu der Politik, die soziale Mischung zu erhalten – ja sie mittels einer Internationalen Bauausstellung auszubauen.
Poetischer Rationalismus
Während die „IBA-Alt“ sich mit Hardt Waltherr Hämer um die Sanierung kümmerte, schrieb Kleihues für die „IBA-Neu“ ein Programm, das auf die Wiedergewinnung des „Gedächtnisses der Stadt“ abzielte: durch die Rekonstruktion des Stadtgrundrisses, die Wiederbelebung der kleinteiligen Bebauung und die Schaffung differenzierter Nutzungsstrukturen. Die südliche Friedrichstadt, einst Produkt barocker und bürgerlicher Planung und urbaner Mischung von Wohnen, Arbeiten und öffentlichen Einrichtungen, sollte für seine Bewohner wieder ein Gesicht erhalten – kein historisch-nostalgisches, sondern ein modernes „kritisches“, das sich mit der Geschichte auseinander setzt.
Für diese „Idee der europäischen Stadt“ baute Kleihues selbst kaum, holte dafür junge Architekten von Peter Eisenman bis Daniel Libeskind in die Stadt. Erst nach dem Ende der IBA Mitte der 1980er-Jahre begann darum die eigentliche Architektenzeit Kleihues’ – „für eine Architektur des poetischen Rationalismus“ wie er sie nannte. Kühl und preußisch sollte sie sein, aber auch verspielt, ja dichterisch. Kleihues ist das gelungen – auch international. Seine größte Hoffnung, Schinkels Bauakademie zu rekonstruieren, wurde dagegen am Freitag zerschnitten.