: Böhrnsen bangt um SPD-Mehrheit
51 Prozent der Stimmen, aber nur neun von 19 Beiratssitzen? Das kann nicht sein, schäumt SPD-Fraktionschef Böhrnsen. Und will das neue Wahlrecht wieder ändern
Bremen taz ■ Das rote Bremen, in dem die SPD mit niemandem koalieren muss – wovon Genossen noch träumen mögen, ist real längst Vergangenheit. Einzig im Woltmershauser, Stromer und Gröpelinger Beirat errang die SPD bei den Wahlen im Mai noch mehr als 50 Prozent der Stimmen. In Gröpelingen aber reichten die 51,2 Prozent nur für neun von 19 Sitzen. Damit will sich SPD-Fraktionsschef Jens Böhrnsen nicht abfinden. „Absolute Mehrheit ist absolute Mehrheit“, insistiert er. „Da wird der Wählerwille ins Gegenteil verkehrt“, sagt Fraktionssprecher Werner Alfke.
Demnächst soll jetzt der Senat Rede und Antwort stehen. Ob der Regierung denn das „Problem“ bewusst sei, will Böhrnsen fragen. Und ob Gleiches denn auch bei der Bürgerschaftswahl passieren könne.
Es kann. Denn das nach seinem Erfinder Sainte Laguë benannte Modell, nach dem in diesem Jahr erstmals die Sitzplätze in der Bürgerschaft und den Beiräten verteilt wurden, begünstigt tendenziell die kleinen Parteien. Mit der Folge, dass der größten in bestimmten Fällen dann der Mehrheitssitz entgeht.
„Das Problem war vorher keinem so bewusst“, vermutet Alfke. Zweifel daran sind erlaubt. Denn die Freundlichkeit des Sainte-Laguë-Systems gegenüber kleinen Parteien war der ausschlaggebende Grund dafür, dass dieses Verfahren nach jahrelanger Debatte im Bremer Wahlgesetz festgeschrieben wurde. Auch bei einer auf 83 Plätze verkleinerten Bürgerschaft nämlich musste sichergestellt werden, dass eine Partei, die in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde überspringt, in jedem Fall einen Sitz erlangt. Andernfalls wäre das Wahlsystem verfassungswidrig. Da Bremerhaven seit dieser Wahlperiode aber statt bisher 20 nur noch 16 Abgeordnete stellt, entsprechen fünf Prozent der Stimmen genau 0,8 Sitzen. Gesucht wurde also ein Modell, dass in diesem Fall die Sitzplatz-Zahl immer aufrundet. Von allen bekannten Rechenverfahren ist das nur bei dem von Sainte Laguë der Fall.
Auch das in Bremen zuvor verwendete Hare/Niemeyer-Verfahren, das heute noch in den meisten Bundesländern und bei der Bundestagswahl zum Zuge kommt, schließt eine Situation wie im Gröpelinger Beirat nicht aus. Insbesondere, wenn viele kleine Parteien gerade so viele Stimmen erlangen, dass es für einen Sitz reicht, fehlen diese bei der Verteilung dann den großen Parteien – im ungünstigsten Fall auch zur Sitzplatzmehrheit. Einige Wahlgesetze enthalten aus diesem Grund eine Zusatzklausel: Absolute Stimmenmehrheit muss in jedem Fall auch Sitzplatzmehrheit bedeuten – Hare/Niemeyer hin oder her. Wie heute noch in Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen gab es in Bremen allerdings bisher keine solche Bestimmung. Schon seit 1991 sichert hier also eine Stimmenmehrheit nicht automatisch die Sitzplatzmehrheit.
Böhrnsen will das jetzt ändern. Nur: Ob beim Sainte-Laguë-Verfahren überhaupt eine Mehrheitsklausel zulässig ist, bezweifeln Experten. Wird am Modell herumgedoktert, heißt es, „stellt sich die Frage der Verfassungswidrigkeit“. Armin Simon