: Die Zockerei geht weiter
betr.: „Bankrott verhindert“, „Schleswig-Holstein bald pleite wie Island?“, „Die schlechte Laune setzt sich durch“, „Schifffahrt steuert in die Rezession“ u. a., taz vom 25. 2. 09
Der Finanzmarktkapitalismus hat seiner gnadenlosen Jagd nach Maximalprofit der Umwelt-, Energie- und Lebensmittelkrise noch eine Finanzkrise hinzugefügt, deren erste Schockwellen die Realwirtschaft erreicht haben. Jahrzehntelang hatten die herrschenden Parteien immer mehr Regularien und Beschränkungen abgebaut, die angeblich nicht mehr in die Zeit der „Globalisierung“ (korrekter: Turbokapitalismus) passen würden. Jahrzehntelang wurden satte Gewinne eingefahren, die Zahl der deutschen Milliardäre war noch nie so groß und vermögend wie 2008. Jahrzehntelang wurden Kritiker, wenn diese darauf hinwiesen, dass das Finanzvermögen nicht ohne Folgen um ein Vielfaches des Produktivvermögens wachsen kann, als linke, weltfremde Spinner tituliert.
Der, der am meisten verdiente, war nicht der, der am besten arbeitete, sondern der, der am skrupellosesten auf steigende oder fallende Aktienkurse, Rohstoffe und Lebensmittel zockte. Derivatgeschäfte wurden von den Politikern in immer größerem Umfang erlaubt. Die „hemmende“ Börsenumsatzsteuer wurde abgeschafft. Internationale Bilanzierungsregeln wurden geändert. Durch das 2004 in Kraft getretene „Investment Modernisierungsgesetz“ konnten Heuschrecken noch leichtere Beute machen.
Nun beginnt die Blase zu platzen, und die gleichen Politiker und Wirtschaftsführer, die zu Zeiten der dicken Gewinne staatliche Eingriffe als Ursache allen Übels brandmarkten, rufen heute nach dem Staat. Die gleichen, die den „freien“ Markt, den Preis und den Profit als das „Gesunde“ und Alleinregelnde beschworen haben, wollen heute zwar gerettet werden, aber nicht zu den aktuellen Markt- und Börsenpreisen. Sie diktieren stattdessen Milliarden von Steuergeldern in zweifelhafte Stützungsmaßnahmen. (Gleichzeitig geht die Zockerei weiter: Steht die VW-Aktie derzeit bei 200 oder bei 1.000 Euro?) Hilf- und konzeptlos werfen die Parteien, die die Krise mit verursacht haben, folgsam unvorstellbare Summen hinterher. Alle Beteiligten vermeiden eine Aufarbeitung der Ursachen und niemand will die Regeln des Heuschreckenkapitalismus wirklich wieder ändern.
Was aber passiert, wenn schließlich alle Steuergelder verbrannt sind? Den Steuerzahlern, den Arbeitnehmern und den sozial Schwachen stehen angesichts dieser Allianz von Politik, Wirtschaft und Zockern harte Zeiten bevor. Und wenn ich derzeit feststellen muss, dass in Deutschland die beiden Parteien, die am massivsten die Ursachen für diese Krise zu verantworten haben, in der Wählergunst zulegen, geht mir selbst der Glaube an einen Obama-Effekt bei den Wahlen 2009 verloren. KURT LENNARTZ, Aachen