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Archiv-Artikel

Der Soldat, der keiner sein will

Verweigerung? Für „so etwas“ gebe es keine Formulare, sagte der SergeantManchmal hört sie wochenlang nichts von Sam. Dann ist jemand gestorben

VON MAREKE ADEN

Der Soldat der US-Armee Sam Ingoglia* stand auf der Treppe seines kleinen deutschen Hauses und seine Frau Berta hielt einen Hammer in der Hand. Den sollte sie mit aller Wucht auf das Knie ihres Mannes schleudern, das war der Plan. Berta hat es nicht geschafft. Der Mann hat nicht zurückgezuckt, er hat seine Angst verborgen. Aber er konnte es irgendwann nicht mehr aushalten zu sehen, wie viel Angst Berta davor hatte, ihm das Kniegelenk zu zertrümmern.

„We are not crazy people“, sagt Berta immer wieder. Sie ist deswegen nicht verrückt, weil sie ihrem Mann das Knie zerschlagen wollte, damit Sam nicht eingezogen wird in den Irak. Er sollte unfähig werden zu kämpfen und mit einem kaputten Knie in Deutschland leben, anstatt im Irak für eine Sache zu sterben, die nicht die Sache des Ehepaars Ingoglia aus Florida ist.

Als Sam nach drei Stunden im Treppenflur noch ein heiles Knie hatte, haben Sam und Berta aufgegeben. Später am Tag sind die beiden an ihren Computer gegangen. Dort haben sie die Worte „Conscientious Objector“ in eine Suchmaschine eingegeben. Das ist der amerikanische Begriff für Kriegsdienstverweigerer. Sie erfuhren, dass es in Deutschland ein Grundrecht darauf gibt. Berta nennt das „amazing“, erstaunlich und toll. Sie lasen, dass auch ein amerikanischer Soldat den Kriegsdienst verweigern kann. Sie stießen auf die Telefonnummer einer deutschen Organisation. Sie riefen an und dort erklärte ihnen ein Mann auf Englisch, dass auch Sam noch zurückstecken könne. Sie hörten davon zum ersten Mal. Sam und Berta schöpften Hoffnung und sahen eine Alternative zur Hammer-Methode. Das war an einem Freitag im Frühjahr.

Sam wollte nun einen Kriegsdienstverweigerungsantrag schreiben. Aber inzwischen war Wochenende und am Montag erreichten sie niemanden, der ihnen hätte weiterhelfen können. Am Dienstag fragte er seinen Sergeant. Der antwortete nur, dass es für „so etwas“ kein Formular gebe. Am Abend schrieb Sam daraufhin einige Dinge auf ein Blatt Papier, von denen er annahm, dass sie ihn zur Verweigerung berechtigen könnten. Den Zettel reichte er am Mittwoch früh ein. Der Sergeant nahm ihn nicht einmal an. Er sagte, Sam habe sich eine sehr schlechte Zeit ausgesucht, um etwas einzureichen, er sagte, dass er sehr beschäftigt sei. Sam ging nach Hause. Inzwischen hatte Berta noch mal gegoogelt und herausgefunden, dass die amerikanische Armee eine „open door policy“ für die Frauen der Soldaten hat, dass Angehörige von Soldaten jederzeit Petitionen stellen können und dass das Militär schlechte Presse nicht wünsche.

Also zog Berta selbst zum Sergeant von Sam. Sie wartete auf dem Gang. Sie wartete. Und blieb sitzen. Man ließ sie nicht ein. Sie wartete weiter. Irgendwann ist sie einfach in sein Büro geplatzt. Sie erzählte ihm, sie habe bei einem Politiker in Florida angerufen, sie drohte ihm mit Presse, sie legte ihm Sams Zettel auf den Schreibtisch und erklärte, dass sie noch einiges anderes vorhabe: „I will make a big to do about it.“ Der Sergeant schaute Berta an und stellte fest: „You are serious.“ Dann erklärte er ihr ruhig, dass Sam nicht zur Armee gehen und von ihr sein Gehalt beziehen, aber dann den Rückzug antreten könne, sobald es Ernst werde.

„Er dachte, dass Sam es einfach nur mit der Angst zu bekommen hat“, sagt Berta. Sie gibt zu, dass man das denken kann. Im Krieg, so kurz vor der Einziehung schnell den Kriegsdienst verweigern, das sieht nach Angst aus. Berta sagt nicht, dass Sam keine Angst hatte vor dem Irak. Sie sagt nur, dass es bei Sam trotzdem auch einen anderen Grund gibt. „Die Armee war von Anfang an nichts für ihn.“ Als er vor fünf Jahren den Vertrag unterschrieb, da regierte Clinton noch, niemand habe an den 11. September gedacht, niemand an den Kampf gegen den Terror, niemand an einen Krieg gegen den Irak, in dem viele amerikanische Soldaten ihr Leben lassen würden, in dem Zivilisten enthauptet und andere gefoltert werden würden.

Aber obwohl das alles eine grausame Zukunftsmusik war, obwohl kein einziger Soldat mit mehr als einem kleinen Einsatz hier oder dort auf der Welt rechnete, war Sam kein Mann für die Armee. „Ich habe das gesehen. Als ich ihn das erste Mal in einer Uniform sah unter anderen Soldaten, war gleich klar: Er gehört da nicht rein.“ Sam hat nicht geklagt, sagt sie, er hat einfach nur so unglücklich ausgesehen, wie jemand, der nicht weiß, dass er unglücklich ist.

Wie so viele andere war er den Pakt mit dem Militär eingegangen, weil er studieren wollte, die Jurisprudenz, das war sein Traum. Außerdem hatten Berta und er eine kleine Religionsgemeinschaft verlassen, die ihnen heute so seltsam vorkommt, dass sie nicht möchten, dass irgendwer erfährt, dass sie ihr einmal angehört haben. Als Folge davon haben sie viele Freunde verloren, selbst die Familien von Berta und von Sam sind sauer gewesen. Drei Monate später zog Sam das erste Mal eine Uniform an. „Es klingt heute sehr komisch“, sagt Berta, „aber die Armee war für uns auch so etwas wie ein Familienersatz.“

Das klingt heute vor allem deswegen komisch, weil sie in der Armee all das wiederfanden, wovor sie aus ihrer kleinen abstrusen Religionsgemeinschaft geflohen waren: strenge Hierarchien, größtmögliche sexuelle Abstinenz, Bigotterie.

Noch nicht einmal die materiellen Vorteile, die sie sich versprachen, haben sie erhalten. Bei der ersten Musterung hatte man ihnen gesagt, dass sie eine Möbeleinrichtung bekommen würden, wenn sie nach Deutschland gingen. Sie bekamen aber nur einen Armeekredit für eine Möbeleinrichtung. Den abzuzahlen, fiel ihnen schwer, denn auch der Sold fiel geringer aus, als ihnen zugesagt worden war.

Weil Sam einige Male versetzt wurde, hat er bisher auch seinen Studienabschluss nicht gemacht. Sam ist jetzt im Irak. Sam und Berta telefonieren, so oft es geht oder sie schreiben einander Mails. Manchmal hört Berta wochenlang nichts von Sam. Dann ist wieder jemand in seiner Kompanie gestorben. Wenn das passiert, werden alle Verbindungen aus dem Irak gekappt. Die Armee will ein Mitteilungsmonopol haben. Die Angehörigen eines gefallenen Soldaten sollen immer von offizieller Stelle über den Tod informiert werden. Als Berta lange keine Nachricht mehr bekommen hatte, fragte sie bei der zuständigen Stelle, ob ihrem Mann etwas passiert sei?

Das war der Moment, als Berta das erst mal dachte, dass der Kriegsdienstverweigerungsantrag keine gute Idee war. Denn die Frau, die ihr diese Frage beantworten sollte, sagte ihr, sie glaube nicht, dass ihr Mann tot sei. „Das ist doch sadistisch“, sagt Berta, „entweder sie weiß es und kann es mir sagen, oder sie weiß es nicht, dann kann sie mir genauso gut sagen, dass er lebt. Sterben kann er sowieso jeden Augenblick.“

Auch im Alltag merkt Berta, dass die Verweigerung ihr Leben verändert hat. Denn einerseits entgleitet ihr die Erziehung ihrer Kinder. In der Schule in Deutschland gehen sie nur mit amerikanischen Armeekindern zur Schule. Die kleinen Jungs tragen stets Uniform und Spielzeugwaffen und malträtieren die kleinen Mädchen. Andererseits kriegen auch ihre Kinder zu spüren, dass ein amerikanischer Soldat den Kriegsdienst nicht verweigert, dass ihr Vater ein Feigling ist.

Sam, sagt sie, wird in seiner Einheit als „Schwuchtel“ bezeichnet. Alle wissen, dass er nicht in den Irak wollte. Er ist in einer besonders harten Einheit. Sie wurde entsendet, als schon fast 500 Soldaten gestorben waren, um den terrorwütigen Schiitenführer Moktada Sadr aufzuhalten.

Sam würde es nichts ausmachen, wenn die harten Jungs in seiner Einheit ihn nur beschimpfen würden. Aber sie geben ihm auch die Aufgaben, die sonst niemand machen will. Sam ist dafür zuständig, Leichenteile und Leichen in Säcke zu packen. Fast ohne Schlaf, manchmal auch hungrig und durstig muss er in die Hitze hinaus und Tote aus dem irakischen Staub ziehen. Nach fünf Wochen im Irak hatte er schon 32 tote Muslime eingesammelt und 20 tote amerikanische Soldaten. Manche von ihnen sind so zerfetzt, dass die Leichenteile in Plastiktüten wirft und schnell zuschnürt. Der Krieg ist nichts für Sam. Stell dir vor, es ist Krieg und Sam stirbt darin.

*Name geändert