ein amerikaner in berlin
: Das Geheimnis des Fernsehturms

Was hat das Drehcafé mit dem World Trade Center zu tun?

Neulich, es war bewölkt, ich langweilte mich und ging zum Alex. Ich wollte einfach ein bisschen herumspazieren und vielleicht einige CDs kaufen, nur um die Zeit totzuschlagen.

Als ich aus Saturn herauskam, schüttete es in Strömen. Ich rettete mich unter eine Überdachung, wo Leute das Drei-Karten-Glücksspiel spielten, 50-Euro-Scheine vor ihre Nasen hielten – und dann vor meine. Ich komme aus New York, der Stadt, in der das Drei-Karten-Glücksspiel erfunden wurde, dachte ich. Auch, dass ich viel zu schlau bin, um darauf hereinzufallen. Zehn Minuten später, mein Geldbeutel um zwanzig Euro erleichtert, verspürte ich plötzlich einen Drang, den wahrscheinlich kein Berliner ernsthaft verspürt. Ich wollte auf den Fernsehturm.

Wahrscheinlich weil ich aus New York komme, lösen hohe Gebäude in mir einen merkwürdigen, beinahe biochemischen Reiz aus. Als ich dann in der Schlange stand, um mit griechischen Touristen um einen Platz im Aufzug zu drängeln, bekam ich Zweifel. Ich fühlte mich plötzlich als Berliner. Ich bin nicht wie diese Leute. Ich bin nicht beeindruckt von einem Fernsehturm, sagte ich mir. Ich bin abgestumpft!

Als ich den Fernsehturm oben betrat, überlief mich ein kleiner Schauder. Erinnerungen. Details. Die Anzeige im Aufzug, die auf einem veralteten LCD-Display Auskunft über den Höhengewinn gibt. Der Aufzugführer mit seiner gelangweilten Ungeduld. Die Besucher. Ihre niedliche, naive Erwartung, da oben in dem Stadtdschungel endlich einen Sinn zu erkennen. All das erinnerte mich an meinen ersten – und einzigen – Ausflug zum World Trade Center. Ich war 14 und in Begleitung meines Vaters.

Das Geheimnis des World Trade Centers war, dass die Ortsansässigen es zu hassen liebten. So wie die Berliner ihren Fernsehturm. Wenn sie überhaupt einen Gedanken an das Gebäude verschwendeten. Viele, die in naher und nächster Umgebung wohnten, kamen nie auf den Gedanken, da etwa hinaufzufahren. Außer natürlich wenn Besuch kam. Mein Vater arbeitete viele Jahre nahe dem WTC. Er schaute jedesmal überrascht, wenn der Besuch fragte, ob er oft hinaufführe.

Hier vor den schrägen Fenstern zu stehen, den Mini-Fernrohren, den vielsprachigen Hinweisen, das war genau jener Tag in den 80er-Jahren im WTC.

Hinter einer Biegung wartete eine Menschenschlange auf einen freien Tisch im Panorama-Café. Der Anblick sorgfältig gebügelter Hemden, schnatternder Vorfreude löste ein unerwartet angenehmes Gefühl in mir aus. Das WTC hatte auch so ein Cafe, „Windows of the World“. Eine Touristenfalle zweifellos, aber die Menschen schienen die unübersichtliche Welt da unten nach einem guten Essen irgendwie verstehen zu können.

Es wird viel zu oft daran erinnert, wie die Türme zusammenstürzten. Und viel zu selten an die Zeit, als sie noch standen. Auf den Alexanderplatz starrend, nahm ich wahr, dass jemand „Skywalker“ auf das Dach eines Apartmenthauses geschmiert hatte. Unten hatte es angeberisch gewirkt. 70 Meter über der Erde sah es beinahe komisch aus: der waghalsige Künstler, übertroffen von gewöhnlichen Bauarbeitern. Ich ging zurück zum Aufzug, mit einem merkwürdigen Glücksgefühl, und ließ die drängelnden Touristen vorbei. STEVEN ZEITCHIK

Der Autor, 29, ist New Yorker Journalist und gegenwärtig als Arthur-F.-Burns-Stipendiat zu Gast bei der taz