Lizenz zum Gelddrucken

Ein Softwarepatent löst Alarm in der Chefetage des World Wide Web aus: Ein Kleinunternehmer verklagt Microsoft, weil Bill Gates’ Browser das kann, was alle anderen auch können

von PETER MÜHLBAUER

Die Firma „Eolas“ hat schon Ende der 1990er Aufsehen erregt, als sie das Design von Internet-Hype-Begriffen, die den Klammeraffen („@“) enthalten, für sich in Anspruch nahm und Lizenzzahlungen dafür forderte. Nun leitet Eolas aus dem US-Patent mit der Nummer 5.838.906, das es 1994 erwarb, erneut ein Monopol auf bereits sehr verbreitete Praktiken ab. Zahlen soll diesmal der Softwarekonzern Microsoft.

Die Patentschrift entwirft eine Idee, die im damaligen Hypermedia-Rausch mehr oder weniger jedem Beteiligten vorschwebte: Ein „System“, das es dem Benutzer eines Netzwerk-Browsers erlaubt, ein „eingebettetes Programmobjekt“ aufzurufen, auszuführen und mit ihm interaktiv zu kommunizieren. Immerhin sind Ausführungen detaillierter als in anderen Trivialpatenten: Sogar eine modifizierte Version des Mosaic-Browsers liegt im Quellcode bei. Aus diesem Grund kam das Geschworenengericht, vor dem Eolas gegen Microsoft geklagt hat, zu dem Schluss, dass der Internet Explorer des Softwarekonzerns sehr wohl das Patent des Klägers verletze, weshalb ein Schadenersatz von 521 Millionen Dollar angebracht sei.

Ein bisschen viel auf einmal selbst für Bill Gates, und außerdem steht nicht nur sein Internet Explorer auf dem Spiel. Das Urteil rief auch das W3C-Gremium auf den Plan, denn seine allgemein akzeptierten Standards für die Web-Programmierung könnten mit betroffen sein. Aus dem Konsortium, in dem auch Microsoft vertreten ist, drang die Nachricht, der Softwarekonzern drohe damit, Änderungen am Internet Explorer vornehmen. Mit einer massiven Reduktion des Funktionsumfangs wäre dann in jedem Fall zu rechnen.

Präzedenzfälle

Nach Angaben von Eolas deckt das Patent aber nicht nur Browser mit Microsofts „ActiveX“-Technik ab, sondern auch Java-Applets und andere interaktive Komponenten. Bei Netscape, Mozilla und Firebird wären davon wohl nur die wahlweise zuladbaren Programme des Browsers („Plugins“) betroffen. Bei Opera, dessen Browser zwar kein ActiveX unterstützt, aber Java integriert hat, hüllt man sich in Schweigen – offenbar, um nicht versehentlich gerichtlich verwertbares Material aus der Hand zu geben. So auch bei den anderen von einer Patentklage bedrohten Firmen: Weder der Flash-Hersteller Macromedia noch Sun Microsystems, wo die Marken Java und JavaScript beheimatet sind, noch die Anbieter der großen Onlinespiele möchten sich zum Eolas-Fall äußern.

Womöglich ist das Eolas-Patent nur ein Vorbote größeren Unheils: Zurzeit prozessiert die Firma „Acacia Media Technologies“ gegen 21 kleinere Internetfirmen. Acacia besitzt fünf US-Softwarepatente, die nach Ansicht der Firma durch den Download, das Streaming sowie durch jede andere Form des elektronischen Vertriebs von Filmen und Musik mit Datenkomprimierung verletzt werden.

Die Patente ruhten fast ein Jahrzehnt lang in der Schublade. Erst 2002 begann Acacia Ansprüche anzumelden. Mit Bedacht suchte die Firma sich ausschließlich kleine Pornoanbieter aus und verlangte von ihnen knapp 2 Prozent der Gesamteinnahmen als Lizenzzahlung. Die meisten konnten und wollten sich einen kostspieligen Prozess nicht leisten und zahlten. Bereits Mitte der 1990er lagen die durchschnittlichen Kosten für eine Patentklage in den USA bei 500.000 Dollar. Die wenigen, die sich trotzdem auf einen Prozess einließen, haben schlechte Karten vor Geschworenen und in der Öffentlichkeit. Sie gelten als Schmuddelkinder des Web. Ist aber das Patent erst einmal in einer Reihe von Prozessen gegen sie bestätigt, so entstehen im amerikanischen Rechtssystem Präzedenzfälle für Klagen gegen seriöse Firmen.

Marktbereinigung

Auf die Frage, warum die Verletzung des Patents für Microsoft nicht erkennbar war und ob das Urteil eine Änderung der Haltung zu Softwarepatenten nach sich ziehe, verweist Microsoft-Sprecherin Irene Nadler lediglich auf die offizielle Stellungnahme, in der eine absichtliche Patentverletzung verneint und Berufung gegen das Urteil angekündigt wird. Unvermindert setzt Microsoft seine intensive Lobbyarbeit für die Einführung von Softwarepatenten fort. Der scheinbare Widerspruch lässt sich leicht aufklären. Auch wenn Microsoft gerade eine Schlacht verloren hat, haben in einem Patentkrieg auf lange Sicht nicht Außenseiter wie Eolas und Acacia die Nase vorn, sondern große Konzerne mit einem breiten Patent-Portfolio: Patentinhaber müssen ihre Patente nicht lizenzieren, sondern können ihren Einsatz auch verbieten.

Norbert Haugg, der frühere Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts, schätzt, dass rund 95 Prozent aller Patente weltweit noch nie verwertet worden sind. Ein Grund dafür ist, dass große Firmen Patente zunehmend nur als Drohwährung und zur Ausschaltung von Konkurrenztechnologien halten: Hat ein Konzern ein genügend großes Portfolio an Patenten, kann er kleine Unternehmen gerichtlich oder durch Drohung an der Produktion hindern, während er andere Konzerne ob ihres eigenen Patentarsenals unbehelligt lässt.

Durch dieses „Cross-Licensing“, eine Art Patentkriegs-Waffenstillstand, entsteht ein Oligopol von großen Unternehmen dessen Mitglieder allein noch das Risiko der Produktion von Software wagen können. Ein einziges Programm kann hunderttausende von Instruktionsfolgen enthalten, von denen jede potenziell unter ein Patent fallen kann. Unabhängige Entwickler können daher das Risiko, neue Software zu schreiben, kaum mehr eingehen, weil sie jederzeit wegen Patentverletzungen verklagt werden können, ohne von den angemeldeten Trivialpatenten auch nur zu wissen. Das Ergebnis ist paradox. Im Grunde haben heute nur noch Firmen, die selbst gar nichts produzieren, eine Chance, Softwaregiganten zu verklagen, ohne durch deren Patentarsenal ausgeschaltet zu werden.

Fragt sich, ob auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments rechtzeitig davon erfahren: Die Proteste gegen Softwarepatente, an denen sich in den letzten Wochen von der Universität Oxford bis hin zum Programmierguru Donald Knuth fast alles beteiligte, was in der Informatik Rang und Namen hat, rüttelten immerhin die sozialdemokratische Fraktion so weit auf, dass dort nach Aussage der Abgeordneten Evelyne Gebhardt mittlerweile über engere Grenzen für die geplante Softwarepatentrichtlinie nachgedacht wird: „Technisch“ und damit patentierbar sollen Programme nur sein, wenn sie „Naturkräfte kontrollieren.“

peter.muehlbauer@gmx.net