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Archiv-Artikel

„Mich kannst du knicken“

13. Stock (2): Adel und seine Kumpel erzählen gern richtig harte Storys aus dem Ghetto Grohner Düne. Ihre eigentlichen Lebensläufe wirken eher hoffnungslos als gefährlich – und treten erst in längeren Gesprächen hervor

Der Weser Report ist die „auflagenstärkste Anzeigenzeitung der Region“. Seit wir mit unserem Projekt auf der Titelseite waren, steht das Telefon nicht mehr still. „Die Grohner Düne ist eine Hochburg der Kriminalität“, informiert uns zum Beispiel ein anonymer Anrufer.

Am gleichen Tag ruft Adel an. „Ist euer Film mit Musik?“ Adel ist Anfang zwanzig, macht HipHop und fragt höflich, ob er eine CD mit ein paar Demos im 13. Stock vorbeibringen kann: „Am besten gleich. Ich kenn mich aus mit der Düne.“

Adels Eltern sind vor 30 Jahren aus Tunesien nach Deutschland gekommen. Er selbst hat in einer der Werften in Bremen-Nord eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht. „Erst kommt die Arbeit“, erklärt er uns, während er für Florian im Schatten der Hochhäuser posiert. „Meine Texte schreibe ich nach Feierabend.“

Adel lebt ein paar Kilometer weiter in einer Reihenhaussiedlung, aber die Grohner Düne, in der vor ein paar Jahren noch regelmäßig die Müllcontainer auf dem Innenhof brannten, ist die deutlich bessere Kulisse für seinen Gangsta-Style.

Der Deal ist einfach. Wir nehmen einen seiner Tracks in unseren Film, und er stellt uns dafür ein paar seiner Kumpels „aus dem Ghetto“ vor. „Die können euch richtig harte Storys erzählen.“

Die jungen Araber, Türken und Kurden, die mit ihren Familien in der Grohner Düne wohnen, treffen sich abends auf einer Steintreppe am Bahnhofsplatz. Ein paar von ihnen drehen richtig auf. „Die Narbe hier“, sagt Sakir und zeigt seinen Oberarm: „Messerstecherei. Das ist normal.“ Einer seiner Cousins hält sich wegen einer Rangelei mit ein paar Polizisten in letzter Zeit eher bedeckt, der Kleine mit der geklauten Rolex ist beleidigt, weil wir die Uhr für eine Fälschung halten, und Mesut, der 22 ist und seit fünf Jahren Bewerbungen schreibt, ist unsicher, ob er vor laufender Kamera über seine Zukunftspläne sprechen kann: „Aber du kannst das aufschreiben. Ich verkaufe lieber Drogen, als ein arbeitsloser Penner zu bleiben.“

Die Grohner Düne gilt spätestens seit den frühen Achtzigern als sozialer Brennpunkt. Selbst wenn es in den letzten Jahren durch konsequente Videoüberwachung der Fahrstühle, der Hauseingänge und des Innenhofs deutlich ruhiger geworden ist, halten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Bild der unbefriedeten Neighborhood sorgsam aufrecht.

Erst als wir uns länger unterhalten, treten hinter den doch nicht so lückenlosen Reihen aus Vorstrafen und Bewährungsfristen die eigentlichen Lebensläufe hervor. Die sind eher hoffnungslos als gefährlich. Tarik, der während des Interviews kein einziges Mal lächelt, ist als Kind mit seinen Eltern in die Düne gezogen. Hauptschulabschluss, eine Ausbildung bei Ford zum Lackierer hat er abgebrochen, weil er zu viel damit zu tun hatte, „Scheiße zu bauen“, wie er schulterzuckend erzählt. „Wenn du aus der Grohner Düne kommst, hast du keine Chance.“ – Warum geht er dann nicht? – Vor 15 Jahren wäre er beinahe abgehauen, als Teenager, mit ein paar Kumpels. „Ich war noch nie im Urlaub gewesen. Alle haben vom Chiemsee erzählt. Also sind wir nach Österreich gefahren. Aber sie haben uns schon an der Grenze geschnappt. Zu jung, keine Papiere.“ Inzwischen hat Tarik seine eigene Familie, mit der er hier lebt. Zum Schluss stellen wir eine falsche Frage. „Ziele?“ Jetzt lächelt Tarik doch, aber er sieht nicht glücklich dabei aus. „Ich bin dreißig, habe vier Kinder und keine Arbeit. Mich kannst du knicken.“ KOLJA MENSING

Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen den Sommer im 13. Stock in Bremen-Nord, um einen interaktiven Dokumentarfilm über die Grohner Düne zu drehen. Erste Videos unter www.13terStock.de