: Fahrlässige Umweltpolitik
Obwohl Trittin mauert: Wir brauchen eine Internationale Agentur für Erneuerbare Energien, um gegen die internationale Renaissance der Atomenergie zu kämpfen
Es ist eine offenkundig breit vorbereitete Kampagne der Atomgemeinde: Ob in Deutschland oder in Großbritannien, in den USA oder in Indien – seit einigen Monaten mehren sich weltweit und mit zunehmender Lautstärke die Rufe nach einer Renaissance der Atomenergie. Vor sechs Wochen traf man sich in Moskau zum Kongress „50 Jahre Atomenergie – und die nächsten 50 Jahre“. Sie feierte den aktuellen Bau von 27 neuen Atomkraftwerken und die Laufzeitverlängerung von 76 US- amerikanischen Reaktoren um 20 Jahre. Eine Laufzeitverlängerung als Wiedereinstiegsdroge ist auch der Plan der Union und der FDP im Falle ihrer Regierungsübernahme. Der Fanfarenstoß ist die Aussage der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), die bis 2030 eine weltweite Steigerung atomarer Kapazitäten um das Zweieinhalbfache und bis 2050 um das Vierfache verspricht.
Diese Agentur ist das weltweit operierende geistige und organisatorische Zentrum der Atomenergie. Sie zählt 158 Mitgliedsländer und etwa 2.000 Mitarbeiter. Allein der deutsche Mitgliedsbeitrag liegt bei jährlich 26 Millionen Euro. Der eine Teil ihrer Aufgabe, nämlich die Überwachung der atomaren Brennstoffkreisläufe zur Verhinderung von Atomwaffenproduktion, ist wichtig und populär. Der andere Teil, ihr atomares Technikentwicklungsprogramm, ist dagegen weniger bekannt. Es besteht nicht zuletzt in der Mobilisierung der Atomenergie. Die Agentur berät und unterstützt Regierungen bei der Erstellung von Atomenergieprogrammen. Sie leistet auch technische Hilfe und koordiniert die Entwicklung neuer Atomreaktoren, an der 20 Länder beteiligt sind. Nach eigenen Angaben hat sie dafür hunderte von Expertenmissionen durchgeführt. Sie ist Kooperationspartner der UN-Organisationen.
Sie hat seit 1970 über 35.000 Wissenschaftler und Techniker ausgebildet und trainiert und 30.000 Expertenverträge vergeben. Sie unterhält zudem das „International Nuclear Information System (INIS) und veranstaltet jährlich 400 Kongresse, Workshops oder Seminare. Stets lautet die Botschaft: Atomenergie ist unverzichtbar, weil die erneuerbaren Energien kein ausreichender und adäquater Ersatz seien. Mit dem Ergebnis, wie man es oft in Entwicklungsländern erlebt: deren wissenschaftliche Energieautoritäten verbreiten nur Gutes über Atomenergie und gar nichts oder schlechtes über erneuerbare Energien.
Die IAEA ist auch der Kampagnenführer für eine Atomenergie-Renaissance. Dazu gehört das Herunterspielen oder gar Verleugnen der Schattenseiten der „friedlichen Nutzung der Atomenergie“. Die auch in den letzten Wochen wieder verbreitete zynische Behauptung, in Tschernobyl habe es nur 45 Todesopfer gegeben, kommt aus ihrer Quelle. Verstärkt setzt die IAEA neuerdings auf das „Wasserstoffzeitalter“, wobei der Wasserstoff mit Atomstrom produziert werden soll: Als Alternative nannte Generaldirektor al-Baradei auf der Moskauer Konferenz lediglich die Wasserstoffproduktion mit Strom aus Kohlekraftwerken – um sogleich auf das dadurch keineswegs ausgeschaltete CO2-Problem verweisen zu können. Von erneuerbaren Energien redete er nicht.
Vorwerfbar sind der IAEA zwar ihre gefärbten Informationen, aber nicht ihr Einsatz für den Ausbau der Atomenergie. Letzteres ist ihr uneingeschränktes offizielles Mandat. Sie arbeitet effektiv und mit unübersehbarer Tiefen- und Breitenwirkung. Als internationale Regierungsorganisation hat sie eine besondere Autorität mit diplomatischem Status. Ohne ihr Wirken würde wahrscheinlich alle Welt längst auf erneuerbare Energien setzen, wofür bisher nur eine Hand voll Länder eine nennenswertes Programm eingeleitet hat.
Umso notwendiger und dringender ist die Errichtung einer Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) als eine der IAEA ebenbürtigen internationalen Institution. Nur damit könnte wenigstens „Waffengleichheit“ mit der internationalen Atomenergieförderung entstehen. Idee und Konzept für eine solche IRENA wurden 2001 von Eurosolar auf einer internationalen Konferenz in Berlin vorgestellt und ihre Einrichtung gefordert. 2002 nahmen SPD und Grüne diese Forderung in ihr Wahlprogramm auf. Dass die Bundesregierung die internationale Initiative dafür ergreifen soll, steht in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung. Der Bundestag hat das mit zwei Resolutionen ebenso unterstützt wie das Internationale Parlamentarierforum für erneuerbare Energien. Doch von einer Initiative der Bundesregierung kann bisher keine Rede sein, weil sich – für Außenstehende überraschend – vor allem Umweltminister Jürgen Trittin dagegen sperrt.
Dieser plädiert stattdessen für ein „informelles internationales Netzwerk“, weil es für eine IRENA international keinen Konsens gebe und auch die UN-Organisationen dagegen sind. Diese sind jedoch weder organisatorisch noch finanziell für die Förderung erneuerbarer Energien ausgestattet. Eine von ihnen dazu zu befähigen scheitert an wechselseitigen Eifersüchteleien – und am fehlenden Konsens. Von einem Netzwerk kann keinerlei der IAEA gleichwertige Schlagkraft erwartet werden. Politisch ist ein solches Netzwerk statt einer institutionalisierten Agentur für erneuerbare Energien genauso absurd, wie es ein Vorschlag wäre, das Umweltministerium durch ein Netzwerk zu ersetzen.
Dass es zumindest ein untragbarer Zustand ist, eine IRENA abzulehnen und gleichzeitig die Atomförderung der IAEA ungebremst weiter die Atomenergie weltweit zu fördern, stört Trittin offenbar nicht. Doch statt um die Mitwirkung anderer Regierungen für eine IRENA zu werben, hat der Umweltminister diesen signalisiert, dass er dagegen ist. Und wo steht geschrieben, dass eine internationale Organisation nur auf allseitiger Konsensbasis und nur im UN-Rahmen gegründet werden kann? Bei internationalen Wirtschaftsorganisationen und Militärbündnissen ist das auch nicht der Fall. Auch die IAEA hatte zum Zeitpunkt ihrer Gründung 1957 weniger als 20 Mitgliedsländer, und dann wurden es immer mehr – und eine UN-Organisation ist sie auch nicht. Die Internationale Regierungskonferenz für erneuerbare Energien Anfang Juni in Bonn wäre eine Gelegenheit gewesen, die IRENA-Initiative vorzustellen und zum Mitmachen aufzurufen – so wie es auch für andere Initiativen von wesentlich geringerer Bedeutung geschehen ist.
Es ist politisch fahrlässig, sich trotz einschlägiger Voten der Regierungsparteien einer Initiative für die Gründung einer IRENA zu verweigern, wenn man die internationale Renaissance der Atomenergie verhindern und stattdessen die erneuerbaren Energien forcieren will. Ohne eine IRENA bleibt es international bei einem unfairen Wettbewerb zwischen erneuerbaren Energien und Atomenergie – zugunsten letzterer. Die Schlüsselrolle der IAEA in der internationalen Kampagne für eine Renaissance der Atomenergie sollte Anlass genug für die Bundesregierung sein, endlich die überfällige Initiative für die IRENA zu ergreifen.
HERMANN SCHEER