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Archiv-Artikel

Ich, ich, ich und ich

Radikaler als jede Psychoanalyse: Analog + Digital, Video Foto ist die erste umfassende Werkschau von Peter Campus. Mit ihr huldigt die Kunsthalle dem großen Selbst-Entsteller

Ein Egomane? Nein, das wäre die völlig falsche Fährte, das sieht man auf den ersten Blick: Eine Verwechslung, die auf dem Hörensagen beruht. Eben darauf, dass Peter Campus genau genommen wirklich nur das eine Thema hat, das Ich, konsequent, immer wieder, immer nur. Nur verbal vermittelt ließe das auf das knallige Werk eines heillosen Selbstdarstellers tippen. Nicht ein grüblerisches, zurückgenommenes, so ruhiges, wie es jetzt in der Kunsthalle zu erleben ist: In der bisher umfassendsten Werkschau zeigt das Museum ab Sonntag Campus Videoarbeiten nahezu vollständig, dazu Fotografien und Computerarbeiten.

Kunst der Bescheidenheit: Und doch ist ihr einziges Thema das Ich,und das von Anfang an. 1970 kauft Campus, Jahrgang 1937, sein erstes Video-Equipment, 1971 die zweite Kamera: Überblendungen! Spätestens ab 1973 ist er neben Bruce Naumann und dem Koreaner Nam June Paik eine der wichtigsten Figuren dieser jungen Medien-Kunst. Und trotzt deren Schnelllebigkeit: Eine epochale Figur, urteilen die Biografen immer noch, obwohl Campus sich in den 80er-Jahren ganz vom Video entfernt hatte, zehn Jahre lang zunächst analog, dann digital fotografierte. Zehn Jahre Pause – dann ist er zurück gekehrt zu seinem Medium. Jetzt nutzt er die DVD-Technik.

Wieso er damals mit den Videoarbeiten aufgehört habe? Campus steht in der Kunsthalle, direkt gegenüber den animierten Selbst-Bildnissen, die ihn als einen jungen Mann zeigen. Er wisse es nicht. Er werde, seinerzeit, seine Gründe gehabt haben. „Ich mache immer noch gerne Fotografien“, sagt er, „but I think it was a mistake.“

1973 ist das Jahr in dem das legendäre Band „Three Transitions“ entsteht. Es ist das erste Werk, dem man in der Kunsthalle begegnet – 4:53 Minuten, Farbe, Ton, Darsteller: Peter Campus; Kamera: Peter Campus. Ein wirklicher Klassiker der Videokunst.

Der Inhalt: Ein Mann in hellbraunem Jackett steht mit dem Rücken zum Publikum“. Vor ihm die Wand hat dieselbe Farbe wie sein Sakko, das plötzlich, so steht’s im Skript „wie von einer unsichtbaren magischen Hand aufgeschlitzt“ wird. Das Loch weitet sich aus, dann kommen Hände aus dem Spalt, „Arme und schließlich der Oberkörper samt Kopf zum Vorschein“ – dieselbe Person, auch wenn deren Gesicht zuvor verborgen war. Aus seinem zerrissenen Rücken kriecht und windet sich Campus heraus, das Jackett verschmilzt mit der Wand. Der Riss bleibt, lässig flickt Campus den mit Heftpflaster – heißt das nicht auf englisch auch tape? Dann, auf schwarzem Hintergrund, das Bild des Kopfes: Die Hände wischen das Gesicht aus dem Gesicht, ein bisschen wie bei Buñuel, aber so diskret und unaufgeregt.

Das ist nach wie vor von unwiderstehlicher Suggestivkraft. Und jedenfalls das Gegenteil von Egomanie: In Campus Werk ist das Ich nur zerstückelt zu haben – oder als Multipel. Eine radikale Fremdheitserfahrung sind nach wie vor die Closed-Circuit-Arbeiten, die eine schräg an die Wand geworfene Aufnahme des Zuschauers zum einzigen Bildgegenstand machen. Je schärfer der Blick, desto mehr gerät es ins Gleiten. Das ist eine malerische Bewegung: Grau-Töne, Nuancen und wie mit dem Pinsel gezogene Linien prägen die Fotografien. Unverwechselbar.

Und dennoch ist die Zäsur der 80er Jahre nicht spurlos geblieben. Die frühen Arbeiten seien ihm heute zu oberflächlich, bekennt Campus. Ihnen fehle die Komplexität, die Zusammenhänge mit der Umwelt: Ein Darsteller, ein schwarzer Raum – soeinfach geht es denn doch nicht: „Video ergo sum“ titelt ironisch-solipsistisch eine 1999 entstandene Installation. Etliche Bildschirme, kombiniert mit rätselhaften Digitalfotografien. Sie nimmt den Hauptraum ein. Zahlreiche Darsteller treten auf, Natur spielt eine Rolle, Blüten, Insekten: Und immer noch das Gesicht des Künstlers, das sich in ihnen bricht. Das eigene Spiegelbild, schreibt Kant, sei dem Betrachter das absolut Unähnliche.

Benno Schirrmeister

Peter Campus, Kunsthalle, ab Sonntag bis 9. November. Katalog: 32 Euro