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Archiv-Artikel

„Manche Männer haben keine Spermien“

Der Rechtsmediziner Volkmar Schneider erklärt, warum es so schwierig ist, eine Vergewaltigung medizinisch nachzuweisen, wenn es keine körperlichen Verletzungen gibt. Es komme sehr auf das Geschick der Polizei an

taz: Professor Schneider, eine Frau zeigt einen Mann wegen Vergewaltigung an. Der Mann bestreitet die Tat. Was für Möglichkeiten gibt es, den medizinischen Nachweis für die Tat zu erbringen?

Volkmar Schneider: Die Frau sollte ganz schnell körperlich untersucht werden. Je länger es dauert, desto leichter verwischen Spuren. Die Untersuchung beginnt am Kopf und geht bis zu den Füßen. Besonders bei den Brüsten und in der Genitalregion ist auf etwaige Schürfungen und Blutungen zu achten. Auch an der Kleidung muss nach Spuren geguckt werden, die für ein gewaltsames Herunterreißen sprechen könnten. Man muss sehen, ob an der Kleidung auch Spermaspuren vorhanden sind, die sich am Textil angetrocknet relativ lange halten.

Am wichtigsten ist wohl die gynäkologische Untersuchung.

Bei einem gewaltsamen Vergewaltigungsakt können Verletzungen in der Scheidenschleimhaut auftreten. Es kann zu Blutungen kommen. Der Arzt nimmt natürlich Abstriche. Im Mikroskop kann er gleich sehen, ob bewegliche Samenfäden vorhanden sind, was darauf schließen lassen würde, dass der Geschlechtsakt sehr kurz zurückliegt.

Einem konkreten Mann zugeordnet werden können die Samen aber erst durch die DNA-Analyse.

Die molekulargenetische Untersuchung im Labor wäre der nächste Schritt. Wenn man Vergleichsspuren von Verdächtigen hat, kann man heutzutage mit dem genetischen Fingerabdruck sehr elegant sagen: „Das war er“ oder „Das kann er nicht gewesen sein“.

Wie lange dauert die Durchführung der DNA-Analyse?

Wenn es rasch geht, zwei Tage.

Dass keine Verletzungen zu sehen sind, muss aber nicht unbedingt heißen, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich war.

Richtig. Eine Frau kann sich wehrlos geben oder tot stellen, um Verletzungen zu vermeiden. Es gibt auch Fälle, wo Männer gar keine Spermien haben. In so einem Fall würde der Arzt vergeblich nach Spermien suchen, obwohl ein Geschlechtsverkehr mit Samenerguss stattgefunden hat.

Gesetzt den Fall, Sie finden Spermaspuren in der Vagina. Kann der Arzt daraus Schlüsse ziehen, ob der Geschlechtsverkehr einvernehmlich oder erzwungen war?

Nein, am Samenbefund ist das nicht ablesbar, wenn keine Verletzungen vorhanden sind. Es kommt sehr auf das Geschick und das Einfühlungsvermögen der vernehmenden Beamten bei der Befragung des Opfers oder vermeintlichen Opfers an, um herauszufinden, was war.

Haben Sie in ihrer langjährigen Praxis oft erlebt, dass eine Frau einen Mann falsch bezichtigt hat?

Oft nicht, aber es kommt vor. Die Regel ist jedoch eine andere. Ich bin über 36 Jahre in der Rechtsmedizin tätig und habe da meine Erfahrungen. Jeder Fall ist natürlich anders.

Haben Sie oft erlebt, dass Aussage gegen Aussage steht und sich bei den medizinischen und technischen Analysen keine stichhaltigen Beweise finden ließen?

Eigentlich nicht so oft. Dann muss man es offen lassen. Aber das sind schon ungewöhnliche Fälle. INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE

Professor Volkmar Schneider, 63 Jahre, leitet an der Freien Universität Berlin das Institut für Rechtsmedizin