Der Trick mit dem Klo

Die Geschlechterkluft bei der Berufswahl ist immer noch riesig. Doch oft sind es Banalitäten, die Frauen davon abhalten, Männerdomänen zu stürmen – wie etwa das Gesetz über getrennte Toiletten. Eine Verordnung, die seit zwanzig Jahren obsolet ist

von CLAUDIA PINL

Wir können keine Frau einstellen, weil wir keine getrennten Toiletten haben.“ Frauen, die einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz in einem gewerblich-technischen Beruf suchen, hören immer wieder diesen Satz. Komisch nur: Bereits vor zwanzig Jahren änderte das Bundesarbeitsministerium im Rahmen einer „Verordnung zur Verbesserung der Ausbildung Jugendlicher“ diese Vorschrift. Seither müssen nicht mehr, sondern sollen nur noch Toiletten- und Umkleideräume in den Betrieben für Frauen und Männer vollständig getrennt sein. Gemerkt hat’s kaum jemand.

Kleine Umfrage bei Betrieben im Kammerbezirk Köln, die noch freie Ausbildungsplätze anbieten: Würden Sie auch eine junge Frau einstellen? Die Antworten fallen überall ähnlich aus. Etwa bei der Firma Itting, Karosserie- und Fahrzeugbau. Hier weiß man über den aktuellen Stand der Klodebatte offensichtlich noch nicht Bescheid: „Was, ne Frau? Nee, da haben wir keine Genehmigung für. Da müssten wir separate Umkleide- und Waschräume haben.“ Auch die Firma Wirtz, Fahrzeugbau, hält an veralteten Regeln fest. Warum stellen Sie keine Frau ein? „Da müssten wir alles neu schaffen: separate Umkleide- und Waschräume, Toiletten. Da weiß ich nicht, wohin damit.“

Mit einer Vielzahl von biologischen, physiologischen, sozialpolitischen und „sittlichen“ Begründungen wurden Frauen bis in die Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts aus bestimmten Erwerbszweigen ausgeschlossen. Der Klocoup ist eine Kuriosität, aber nur ein Einzelfall in der Sammlung vorgeschobener Gründe gegen Frauen im Betrieb. Mit einer quasi naturgesetzlichen „Doppelrolle“ von Frauen in Familie und Beruf wollten die Gewerkschaften zum Beispiel noch 1992 das Bundesverfassungsgericht überzeugen, das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen zu erhalten. Die Scheinheiligkeit des besonderen Frauenarbeitsschutzes offenbarte sich jedes Mal, wenn in Kriegs- und Krisenzeiten Not am Mann und Frauen an „Männerarbeitsplätzen“ vorübergehend hoch willkommen waren.

Doch konzentrieren wir uns auf die Toilettenregelung: Die Vorschriften über getrennte Räumlichkeiten gehen auf die Gewerbeordnung von 1869 (!) zurück. Auch wenn diese Paragrafen inzwischen tot sind: Die alten Vorstellungen, was sich für Frauen ziemt und was nicht, sind quicklebendig.

Nachdem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm am 1. August 1983 die Klobestimmungen in der Arbeitsstättenverordnung entschärft hatte, wurde daraus in den folgenden Jahren das bestgehütete Geheimnis der Regierung Kohl: Die Gewerbeaufsichtsämter bestanden weiter auf strikter Toilettentrennung; die Bundesanstalt für Arbeitsschutz zitierte in einer Broschüre noch 1992 die ungültige Fassung. Und Handwerksbetriebe gaben vor, von der Neuerung nichts zu wissen, obwohl die Arbeitsstättenverordnung in den Betrieben aushängen muss.

Auch 2003 stößt man immer mal wieder auf Homepages und in Broschüren von Betrieben auf den alten Gesetzestext. Und ganz bestimmt geistert er weiter in den Köpfen herum: Das Nichtvorhandensein eines Damenklos muss als Grund herhalten, Frauen nicht einstellen oder nicht beschäftigen zu können. Inzwischen auch in den östlichen Bundesländern.

Generell handelt es sich hier nicht um ein allein bundesrepublikanisches Phänomen: In der DDR gab es ebenfalls zwingende Bestimmungen über das Pipimachen im Betrieb. Ab zehn Beschäftigten mussten im Arbeiter-und-Bauern-Staat „Abortanlagen“ für Frauen und Männer getrennt sein. Da Frauen aber unter anderem dank polytechnischem Unterricht in Werkstätten häufiger anzutreffen waren, spielte das Damenklo beim Berufszugang nicht die verhängnisvolle Rolle wie im Westen.

In der Bundesrepublik hatte man 1978 versucht, das enge Berufsspektrum von Frauen auszuweiten. Mit Bundes- und Länderkampagnen „Mädchen in Männerberufe“ sollten sie ermuntert werden, Schlosserin, Mechanikerin oder Werkzeugmacherin zu lernen. Betriebe erhielten Zuschüsse, wenn sie Mädchen ausbildeten. Geld gab es auch vom Staat zum Einbau separater Sanitärräume. Die damaligen Programme verpufften ohne nachhaltige Wirkung. Die jungen Frauen blieben auch als Gesellinnen bestaunte Einzelfälle. Einige beklagten sich über sexistische Anmache und Mobbing am Arbeitsplatz. Die meisten waren den Exotenstatus irgendwann leid, sattelten auf andere Berufe um, studierten oder gründeten eigene Unternehmen.

Fünfundzwanzig Jahre später sind im Westen der Republik die Berufe des gewerblich-technischen Sektors fast genauso männerdominiert wie eh und je, obwohl die Beschäftigungsverbote abgeschafft sind. Frauen dürfen heute Mauern hochziehen, ohne besondere Gesundheitsprüfung Fahrzeuge steuern und seit zwanzig Jahren die gleichen Klos wie Männer benutzen.

Nach einem leichten Anstieg der Frauenanteile Anfang der Neunzigerjahre ist die Zahl inzwischen wieder rückläufig. Waren 1991 zum Beispiel im Beruf Tischler/Tischlerin 10,1 Prozent der Azubis weiblich, sank ihr Anteil 2001 auf 7,4 Prozent. Der Frauenanteil unter den angehenden IndustriemechanikerInnen rutschte im gleichen Zeitraum von 8,8 auf 5,4 Prozent.

Um typischerweise männerdominierte Betriebe herum halten sich hartnäckig die veralteten Vorstellungen vom anderen Geschlecht. Meister in gewerblich-technischen Berufen, so heißt es, mögen keine Mädchen in ihren Werkstätten und wimmeln sie notfalls mit Verweis auf die längst abgeschafften Bestimmungen ab. Andererseits: Junge Frauen stürmen auch nicht gerade die Kfz-Werkstätten, Werkzeugmacher- oder Schreinereibetriebe. Angesichts von Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel ist die Abenteuerlust, sich auf ungewohnte berufliche Gefilde zu wagen, gedämpft.

Das ist umso bedauerlicher, als die jungen Frauen so gut ausgebildet sind wie nie. Es fehlt ihnen aber an Vorbildern, mit denen sie sich identifizieren könnten: Handwerksgesellinnen, Meisterinnen, Technikerinnen, Ingenieurinnen oder Informatikerinnen sind rar. Nach ihren beruflichen Vorstellungen gefragt, antworten Mädchen häufig, sie wollten gern mit Menschen zu tun haben. Die moderne Dienstleistungsideologie, wonach nicht nur in der Altenpflege, sondern auch im Handwerk der Umgang mit Menschen eine Schlüsselqualifikation darstellt, scheint sich weder bei den Jugendlichen noch in vielen Betrieben herumgesprochen zu haben.

Wie auch immer: Berufe haben ein Geschlecht. Sich für einen Beruf und gegen einen anderen entscheiden hat oft wenig mit den Inhalten zu tun und mehr damit, wie wir uns als Männer oder Frauen verstehen. Bestimmte Berufe rufen bestimmte Bilder in den Köpfen hervor. Eine Verkäuferin, eine Lehrerin, eine Erzieherin wird eher mit „weiblich“ assoziiert als eine Frau im Blaumann, die an einem Auto schraubt.

Das „Doing Gender“ bei der Berufswahl beschränkt sich nicht auf traditionelle Tätigkeiten. In den IT-Berufen tut sich eine neue Geschlechterkluft auf. Als das Studium der Informatik an den Unis noch als Orchideenfach galt, wurde es gern von Frauen gewählt. Seit das Fach den Zugang zu den Schaltstellen der Informationsgesellschaft verspricht, sinkt der Anteil der Studentinnen. Auch im dualen Ausbildungssystem umweht die Informatik eine herbe männliche Note. Junge Frauen fühlen sich vom Beruf „DV-Kaufmann/Kauffrau“ nicht mehr angesprochen, seit er in „Informatikkaufmann/frau“ umbenannt wurde – auch wenn sich an den Inhalten nichts geändert hat. Als aus dem Ausbildungsgang „mathematisch-technische(r) Assistent/Assistentin“ der/die „Fachinformatiker/in“ wurde, sank der Frauenanteil von 60 auf 28 Prozent. Offensichtlich glauben viele, „Assistentin“ sei etwas typisch Weibliches.

Ein Vater, der seine Tochter ermuntert, mit Bohrmaschine, Feile oder Computer umzugehen, eine Lehrerin, die Schülerinnen Praktika in einer Elektronikwerkstatt vermittelt, eine Freundin, die Schreinerin lernt, können hilfreich sein. Aber dann ist da immer noch die Berufsberaterin im Arbeitsamt, die zu einer Ausbildung als Altenpflegerin rät, da sind die gleichaltrigen Freunde, die Mädchen im Blaumann doof finden oder meinen, Computer seien Männersache. Oder der Meister, dem das Männerklo dazu dient, sich nicht mit der großen Unbekannten „weiblicher Azubi“ abgeben zu müssen.

Die Integration von Mädchen und jungen Frauen in technische und naturwissenschaftliche Berufe jenseits von Assistenz- und Zuarbeitefunktionen wird von vielen Akteuren, die auf Berufsentscheidungen Einfluss nehmen, nicht wirklich gewollt.

CLAUDIA PINL lebt als freie Autorin in Köln