: Willkommen in Arkadien
Mit Tizians gutem Namen lockt das Braunschweiger Herzog Anton Ulrich Museum zu nackigen Liebesgöttinnen und stets erregten Satyrn
aus BraunschweigKatharina Müller
Die nackte Venus packt Adonis, hält ihn fest und blickt flehend zu ihm auf. Doch Adonis’ ganzer Körper scheint von ihr fortzustreben. Er ist fertig zur Jagd, hält schon seine Hunde an der Leine. Im Hintergrund kauert der kleine Amor und umklammert ängstlich eine Taube. Venus’ und Amors Befürchtungen sind begründet, tatsächlich geht die Sache schlimm aus: Der Jüngling Adonis, Sinnbild menschlicher Schönheit, wird bei der Jagd von einem Eber getötet.
Diese emotionsgeladene Szene zeigt das Gemälde „Venus und Adonis“ des Renaissance-Hofmalers Tiziano Veccelli, kurz Tizian. Es gibt nur dieses eine, wenn auch weltberühmte Tizian-Bild in der neuen Schau des Herzog Anton Ulrich Museums in Braunschweig. Gleichwohl heißt die Ausstellung, etwas hochstapelnd, „Amors Pfeil, Tizian und die Erotik in der Kunst“.
Zugegeben, es ist ein zentrales Werk. Allegorisch erzählt Tizians Monumentalgemälde von der Flüchtigkeit der Liebe zwischen Göttin und Mensch, von der Vergänglichkeit der Schönheit und des Seins. Ebenso wie dieses Bild verführt auch die Braunschweiger Ausstellung durch die Darstellung körperlicher Schönheit und erotischer Anziehung.
Die von Kunsthistorikerin Mila Horký konzipierte Bildersammlung beschäftigt sich zunächst mit dem Kontext, in dem die künstlerische Darstellung von Sexualität in der bildenden Kunst der Renaissance überhaupt möglich war. Denn die Repräsentation nackter Körper und erotischer Handlungen „gewöhnlicher“ Menschen sei in der Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts tabu gewesen. „Legitim waren nur erotische Darstellungen, deren erzählerischer Kontext dies rechtfertigte.“ So lautet jedenfalls Horkýs These. Tatsächlich war aber in der Renaissance, wie in den Sex-Filmchen von heute, fast jeder Kontext recht: So lieferte das Motiv von Kleopatras Selbstmord vielen Künstlern der altertumsbegeisterten Renaissance einen Anlass, den nackten Körper der legendären Herrscherin darzustellen: Ein Kupferstich von Jan Muller etwa zeigt eine besonders üppige Kleopatra, die ihr Selbstmordinstrument, eine sich windende Schlange, geradezu gierig-lustvoll betrachtet. Auch die bildliche Darstellung der Liebesabenteuer von Gottheiten des Altertums galt in der Renaissance als legitim. So waren im 16. Jahrhundert zahlreiche Gemälde von Ovids „Metamorphosen“ inspiriert, einer Art Handbuch der griechischen Mythologie und der Liebschaften ihrer göttlichen Protagonisten. Die Braunschweiger Ausstellungsmacher zeigen eine Auswahl dieser so genannten Poesien. Auffallend sind die Gelassenheit und die Würde, die die akribisch abgebildeten Frauengestalten ausstrahlen, und die den Bildern einen unschuldigen, verspielten Charme verleihen.
Gemalte Götter-Liebeleien waren bei Hof sehr beliebt. Monarchen wie Philipp II. richteten sich „Camerinos“ ein. Das waren mit meist erotischen Ölgemälden geschmückte Zimmerchen, die nicht der Repräsentation, sondern der Zerstreuung des königlichen Besitzers dienten. Das Modell einer solchen Kunstkammer steht auch im Braunschweiger Museum.
Auch ein seltenes Beispiel für weibliche Schau-Lust findet sich dort: Die Radierung „Venus findet den schlafenden Mars“. Ausstellungsmacherin Horký kommentiert: „Die Auftraggeber für erotische Bilder waren eben meistens Männer.“
Einen überraschenden Kontrast zu solchen eher kühl wirkenden Grafiken bildet die putzige Bronzestatuette eines behuften und üppig behaarten Satyrweibchens. Denn auch weniger finanzkräftige Sammler konnten sich sexy Darstellungen aus der Mythologie leisten: Kleinplastiken von Satyrn waren im 16. Jahrhundert wahre Verkaufsschlager. Das Braunschweiger Museum präsentiert eine Auswahl dieser bocksbeinigen, „stets erregten“ Fabel-Erotomanen aus Bronze, die gern heimlich Nymphen im Bad betrachten.
Die Ausstellung „Amors Pfeil“ verführt zum Wellness-Kurztrip in das Traumland Arkadien. Das ist eine Art antike Hippie-Fantasie von naturverbundenem Leben und freier Liebe. Ebenso wie dieses Traumland dient auch die Braunschweiger Ausstellung vor allem einem Zweck: dem sinnlichen Vergnügen.
„Amors Pfeil“, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig. Dienstags sowie donnerstags bis sonntags, 10-17 Uhr, mittwochs 13-20 Uhr. Katalog, 9,80 Euro. Infos: ☎ (05 31) 1 22 50. Bis 9. November.