: Armer schwarzer Panther
Die Finanzierungsfrage der Museumspädagogik wird zwischen Kultur- und Bildungssenator hin- und hergeschoben. Vom Arbeitsamt finanzierten Pädagogen ist die 25-jährige Vermittlungsarbeit in der Kunsthalle zu verdanken
Mitleidig und ergriffen fragt sich eine Gruppe von Kindern, welcher gemeine Schuft wohl Franz Marcs „Reh im Blumengarten“ die blutigen Wunden zugefügt hat. Mit ungläubigem Staunen hören sie, dass van Goghs „Mohnblumenfeld“ mehr kostet als fünf Häuser und noch 100 Autos dazu, obwohl das Bild wild und ungenau gemalt ist. „Er war einer der ersten, der malte, was er fühlte“, vermittelt die Museumspädagogin und ermutigt im Werkstattraum, die Farbkreiden übers Papier wirbeln zu lassen. „Was wir nicht zu denken wagten, sprechen Kinder aus“, freut sich Arie Hartog vom Gerhard Marcks-Haus. Der Kunsthistoriker führt den Nachwuchs regelmäßig durch das Haus. Kinder reagieren „subjektiv und impulsiv“, da kann man für die Konzeption einer Ausstellung viel lernen, sagt er. Doch diese Haltung ist unter seinen Kollegen eher selten. Es sei ein „Grundproblem der Museen, die Didaktik ans Ende zu stellen“, stellt Hartog fest.
Während sich der gewöhnliche Besucher im Angesicht der Genie-Dichte ehrfürchtig und kontemplativen Schrittes bewegt, lassen die Kunst- Frischlinge Aufsichten aus ihren Tagträumen schrecken. Schnelles Eingreifen ist manchmal erforderlich, um sie daran zu hindern, mit fettigem Fingerzeig auf ihre Entdeckungen zu patschen. Sie befreien den „schwarzen Panther“ aus seinem Käfig. Nun lauert er als große Pappmaché-Figur vor dem Gemälde seines Schöpfers.
„Mein Bild vom Bild – Was wäre Kunst ohne Betrachter“, so lautet der Titel der Ausstellung, mit der die museumspädagogische Abteilung derzeit ihre Arbeit vorstellt. Während sich das vollendete Werk nicht verändert, trifft es seinerseits auf viele wechselnde Gesichter: junge, alte, skeptische, staunende. In jedem Betrachter entsteht ein eigenes Bild vom Bild. Dieses Phänomen legte die Künstlerin Charlotte Kollmorgen während eines Workshops dar. Alle Kursteilnehmer studierten ein einziges Gemälde und wurden anschließend aufgefordert, ihrem Eindruck einen bildnerischen Ausdruck zu geben. Die subjektive Bindung an Kunst zu fördern, ist eine wesentliche Aufgabe der Museumspädagogik.
Diese grenzüberschreitende Funktion ist zugleich ihr Verhängnis, da sich weder Kultur- noch Bildungssenator dauerhaft für die Finanzierung verantwortlich fühlen. Erschwerend kommt hinzu, dass pädagischer Erfolg nicht so messbar ist wie die Besucherzahlen bei Mega-Events.
Den qualifizierten Arbeitslosen ist die 25-jährige Existenz der Museumspädagogik in der Kunsthalle zu verdanken: 25 Pädagogen sind seither als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder abgeordnete Lehrer durch das mächtige Haus gelaufen und haben die Kunst unters Volk gebracht. Als Glücksfall für Bremer Museen erwies sich der Überschuss an Lehrern in den 80er Jahren. Während viele der ausgeliehenen Beamten noch heute bis zu ihrer Pensionierung eine relativ gesicherte Stellung haben, durften die ABMler nur maximal zwei Jahre dienen, dann mussten sie sich wieder arbeitslos melden.
ABM-Stellen gibt es nicht mehr so einfach, und kostenlose Pauker für Kultur sind nicht mehr zu haben. Die Kunsthalle bekam dies mit aller Härte zu spüren, als ihr fleißiger Lehrer Willy Attenstädt 2001 das Haus verließ. Der Bedarf an Museumspädagogik wurde aber durch den Ansturm der Schulklassen bei den Großausstellungen van Gogh und Blauer Reiter offensichtlich. So wurde nach 25 Jahren im August 2002 erstmals eine Stelle aus hauseigenen Mitteln eingerichtet. Unter dem Motto „Kunst verstehen und erleben“ koordiniert Christine Campbell die vielen Aktivitäten der Abteilung mit Hilfe von Praktikanten und Honorarkräften. Ihr Anliegen ist es, „Museumsnutzer statt Besucher“ in das Haus zu holen.
Bis zum Ende dieses Jahres ist ihr Arbeitsplatz gesichert. Nachdem das bisher übliche System aus „geschenkten“ Kunstvermittlern zusammengebrochen ist, begibt sich der Chef persönlich, Wulf Herzogenrath, auf Betteltour. Als Vater von sechs Kindern weiß er um die Notwendigkeit, „eine Brücke zwischen Weltkunst und Nachwuchs“ herzustellen. Esther Brandau