Der Kult geht, RTL kommt

Die Bertelsmann-Tochter RTL Radio Deutschland GmbH kauft im Osten reihenweise Radiosender – und gibt vor, mit den „größten Hits der 60, 70er, 80er etc.“ den deutschen Rundfunk retten zu wollen

aus Halle (Saale) MATHIAS LIEBIG

Angefangen hatte alles vor zwei Jahren mit „Aufstehn, pissen gehn“. Amok Alex verbreitete auf der wohl stärksten UKW-Frequenz des Landes verbalen Sittenterror ohne Luft zu holen. Von Halle in Sachsen-Anhalt aus bretterte der Sender „Project 89.0“ Rock, Cross Over, HipHop und Numetal nicht nur in die verdutzte Region, sondern auch in die umliegenden Bundesländer Sachsen, Hessen und Niedersachsen.

Der Sender mit dem Hinterhof-Image unterhielt bis zu einer Million Hörer pro Woche und produzierte mit seiner absoluten Low-Budget-Ausrichtung, nur zwei Moderatoren und endlosen Programmschleifen Kult – sowie stetig rote Zahlen, mit denen er wiederum dem ähnlich defizitär arbeitenden Schwestersender Radio Brocken auf der Tasche lag. Es drohte zeitweilig sogar die Insolvenz.

Alltag in der privaten Radiolandschaft, die gerade im Osten Deutschlands unter den seit Jahren sinkenden Werbeeinnahmen leidet. Die „Rettung“ für die beiden sachsen-anhaltischen Sender kam vom Großkonzern Bertelsmann. Dessen RTL Radio Deutschland GmbH erwarb in einem Aufwasch mit vielen anderen Hörfunk-Beteiligungen die Kontrolle über beide Sender von der der Radio-Holding AVE. Klare Zielvorgabe für die beiden sachsen-anhaltischen Neuerwerbungen, so Geschäftsführer Olaf Hopp: „Ab 2004 sollen schwarze Zahlen geschrieben werden können.“

Dafür wurden in Halle kräftig Stühle verrückt. Gerade die Mitarbeiter des progressiven Rocksenders „project 89.0“ mussten umdenken, da nach der Marktanalyse festgelegt wurde, dass nur Sender im Mainstream-Format die wirtschaftliche Situation und damit auch die Existenz der etwa 60 Arbeitsplätze sichern könnten. Die Folge: Am Morgen moderiert statt „Maddog die Morgenlatte“ nun die Ex-Kiss-FM-Stimme „Dörti-Dani“ mit Moderatoren-Kollegen wie „Lukas, Mr. Waschbrettbauch“ und ähnlich massentauglich benannten Persönlichkeiten. Maddog darf immerhin am Nachmittag als Sascha weiter senden. Für viele immer noch aufgebrachte Project-89.0-Fans ist das Verrat – für den Ex-Morningshow-Star bedeutet der Klangwandel einen Karrieresprung. „Das Ende von Project tat auch mir persönlich weh. Beruflich kann ich allerdings sagen, dass ich jetzt im Mercedes des deutschen Radios unterwegs sein darf“, sagt Sascha.

Trotz der starken und durchaus ähnlich klingenden Konkurrenz auf dem mitteldeutschen Hörermarkt setzt RTL auf das übliche Hitschema – 89.0 RTL soll die junge Zielgruppe, Radio Brocken die 30- bis 45-Jährigen ansprechen: „Erwiesenermaßen werden die Hitprogramme sowohl vom Publikum als auch von potenziellen Werbekunden gut angenommen“, so Hopp. Zumal die RTL-Group, die anders als in Frankreich und den Benelux-Staaten bisher im deutschen Radiomarkt eher schwach vertreten war, durch die AVE-Übernahme an aktuell 16 Sendern – überwiegend Hitradios – beteiligt ist. Denen dürfte die nun mögliche senderübergreifende, flächendeckende Vermarktung – demnächst vielleicht sogar im Verbund mit der RTL-Fernsehfamilie – gut ins Konzept passen.

Die für die Lizenzierung von Privatsendern zuständige Landesmedienanstalt Sachsen-Anhalt, die der RTL-Übernahme relativ hilflos gegenüberstand, sieht die bundesweite Konzentration des Marktes hin zu Hitfrequenzen als logische Folge der wirtschaftlichen Entwicklung: „Der ostdeutsche Radiomarkt ist wirtschaftlich schwierig“, sagt Justiziarin Verena Schneider. Dass sich die Sender auf den „einzig rentablen Bereich“ orientieren, wie RTL-Mann Hopp die neue Radioeinfalt nennt, sei also ein Zeichen der Zeit.

„Den bundesweit beobachtbaren Verdrängungswettbewerb der verschiedenen Hitradios gibt es, weil Radioprogramme in Deutschland nicht national ausgestrahlt werden können“, meint auch Jürgen Filla, Geschäftsführer von RTL-Radio Deutschland. Mit Mainstream-Formaten könnten in einem regionalen Markt erfahrungsgemäß die höchsten Reichweiten generiert werden. Ein Spartenprogramm wie „Project 89.0“ werde dagagen nie einen höheren Marktanteil als 3 Prozent erreichen. „Das sind aufgrund der regionalen Begrenzung zu wenige Hörer, um den Sender erfolgreich vermarkten zu können. Wäre es möglich, so ein Programm bundesweit auszustrahlen, würden die 3 Prozent Hörer wiederum ausreichen“, so Filla.

Doch das käme einer medienrechtlichen Revolution gleich, und so geht es dem Radioboss erst einmal darum, die Marke RTL auf dem deutschen Radiomarkt weiter voranzutrieben: In Zukunft könnten ja auch weitere Stationen den „in Deutschland nachweislich sehr positiv besetzten“ (Filla) Namen RTL tragen. Amok Alex kümmert das eher wenig – er arbeitet jetzt bei Delta Radio in Kiel. Das gehört immer noch nicht RTL, sondern einer Gesellschaftergemeinschaft um den Versand-Erben Frank Otto und den franzöischen Medienkonzern Lagadère.