Alter, mach kein’ Stress!

Wie alt bin ich, wenn ich alt bin? Jedenfalls sicher nicht so alt, wie es mein Großvater einmal war

Verschwende deinen Lebensabend statt verschwende deine Jugend? Mal sehen

von DIRK KNIPPHALS

Um die Natur ist es folgendermaßen bestellt: Wenn sie zuschlägt, kannst du nichts machen. Dann ist man eben alt, hört schlecht, läuft schlecht und kramt nur noch mühsam die Münzen aus seinem Portmonnaie an der Supermarktkasse. Alter und körperlicher Verfall gehören zusammen, sagt man, und das stimmt selbstverständlich auch. Aber zum einen gibt es die Medizin mit ihren segensreichen Fortschritten. Und zum anderen ist Alter – wenn Sie mal nicht auf die Biologisten, sondern auf die Kulturwissenschaftler und manchen Journalisten hören – nicht nur ein körperliches Phänomen.

„Inzwischen wissen wir …, dass uns nicht die Biologie, sondern die Kultur zum Rentner macht. Alter ist nicht Schicksal, sondern Konvention“, stand neulich auf Seite eins der Zeit. Das klingt nun natürlich wieder so typisch journalistisch überprononciert – am Schicksal des Alterns kommt eben doch niemand vorbei. Aber was dran ist, dennoch. Dass unsere Gesellschaft immer älter wird, das wissen wir. Aber was das bedeutet, das wissen wir eben noch nicht. Kann doch sein, dass das Altsein in einem Vierteljahrhundert, wenn die geburtenstärksten Jahrgänge in die Rente gehen, ganz anders aussieht als heute!

Vor einem Vierteljahrhundert sah es jedenfalls tatsächlich ganz anders aus, das kann ich bezeugen. Mein Großvater lebte noch und ging nur mit Hut aus dem Haus – 1889 geboren, kaisertreu bis zuletzt. Überhaupt: Die Silhouette von Männern mit Hut in sanft tuckernden Autos gehört zu meinem eisernen Reservoir an Kindheitsbildern. Heute muss man schon alte Filme angucken, um so etwas überhaupt noch zu Gesicht zu kriegen. Dass es dermaleinst ein viel diskutiertes Problem werden sollte, wie es gelingen kann, als Popstar in Würde zu altern, das war auch nicht absehbar. „Mach die Negermusik aus!“ Das pflegte noch mein Großvater die Treppe hochzubrüllen, wenn ich mal meinen Plattenspieler zu laut eingestellt hatte. Pop und Alter schlossen sich damals von vornherein aus.

Klar: Verdammt lang her. Aber so lang dann doch nicht. Ein Vierteljahrhundert, das ist gerade mal eine Generation. „Erfahrung ist sehr langsam“, hat mal in einem taz-Gespräch der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge gesagt (der für seine 71 Jahre übrigens erstaunlich agil wirkt!). Bevor kollektive Vorstellungen umgegraben sind, braucht es viel Zeit. Während auf der einen Seite adrette Mallorca-Omis auf einem Motorboot durch die bunten Bildwelten unserer Werbebotschaften brausen, arbeiten auf der anderen Seite noch die alten Männer mit Hut in unserem Bewusstsein. Mit ihnen in einer überalterten Gesellschaft zu leben, das möchte man sich nicht vorstellen. Aber das muss man ja auch nicht. Es wird sie nie mehr geben – es sei denn als völlig abgefahrenes Retro-Phänomen.

Es ist doch so: Betont jugendlich gebliebene Alte haben von heute aus etwas Lächerliches. In 25 Jahren werden sie normal sein. So normal wie alt gewordene Alte. Wie Alte, die nach einem strebsamen Arbeitsleben nun an ihrem Lebensabend abhotten wollen und das auch tun – das Publikum der Rolling-Stones-Konzerte dieses Sommers gibt einen Vorgeschmack davon. Oder so normal wie Alte, die mit vorgeschädigten Organen aufgrund vorhergehenden zu schnellen Lebens nun ihre Tage in Arztpraxen verbringen müssen.

Alle diese Alten werden sich tummeln im nach oben geschobenen dicken Bauch der demografischen Kurven. Es wird nicht mehr ein Alter geben, sondern viele verschiedene, und irgendwann wird das auch im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen sein. Wie alt aber man sein wird, wenn man alt ist, das kann niemand voraussehen.

Insofern kann es, wenn Sie mich fragen, geradezu interessant werden, die Auswirkungen der veränderten demografischen Kurven mitzuerleben. Es werden sich ja nicht nur die Rentensysteme ändern, die Städteplanungen, die Werbespots, die Kulturangebote (Hörgeräteanschlüsse in Kinos!), die Kneipen, die Familienstrukturen, die Ferienanlagen und die Handys (größere Displays!). Die Alten werden in einer so genannten überalterten Gesellschaft auch anders sein.

Verschwende deinen Lebensabend statt verschwende deine Jugend? Mal sehen. Übrigens: Im Prinzip nichts gegen Hüte.