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Archiv-Artikel

Wenn die Szene sich selbst feiert

Ausnahmezustand in der Hauptstadt: Es tobt mal wieder das Literaturfestival in Berlin. Um den kulturbeflissenen Hunger nach großen Namen und schrägen Entdeckungen zu stillen, wurde an die Spree geflogen, wer schon mal ein Buch geschrieben hat. Nur ein Konzept ist nicht zu entdecken – leider

von SUSANNE MESSMER

Allein schon mit wedelnden Nerven mitten am Tag durch die Stadt zu radeln, atemlos von Lesung zu Lesung zu hechten: dieses herrlich hysterische Festivalgefühl. Um kurze dramaturgische Pausen zu überbrücken, setzt man sich ins Café und fragt sich: Könnte das dort hinten der berühmte schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson sein? Den passenden Bart dazu hätte er jedenfalls. Wenig später rempelt man auf dem Weg zur nächsten Lesung einen jungen Mann an, der dem israelischen Schriftsteller Edgar Keret wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Ob er das wirklich war?

In diesen Tagen sind Aufgeregtheiten dieser Art in Berlin ganz normal. Dass man dort auf Schritt und Tritt über hundert bekannte oder weniger bekannte Autoren und Autorinnen stolpern könnte, dafür ist auch in diesem Jahr wieder ein einzelner Mann verantwortlich: Ulrich Schreiber, der es zum dritten Mal geschafft hat, das Internationale Literaturfestival zu stemmen, dank großzügiger Bundesmittel und Wirtschaftsförderung und den wachsenden ökonomischen Schwierigkeiten zum Trotz. Auf zahllosen Lesungen und Podien bekommt man die Chance, so zu tun, als hätte Berlin nicht schon Literaturhäuser und andere Veranstalter genug. Und man kann sich sehr darüber freuen, endlich einmal den Lieblingsautor zu treffen und zu befragen, Berühmtheiten wie Jonathan Franzen und Hanif Kureishi, Seltenheiten wie Zhang Jie, eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas, oder Raymond Federmann, den franko-amerikanischen jüdischen Schriftsteller, der als Einziger in seiner Familie den Holocaust überlebte und mit seinen experimentellen Romanen das Schreiben über das Schuldtrauma des Überlebenden revolutionierte. Aha, eine Schriftstellerin aus Sri Lanka, was war nochmal mit Sri Lanka im Moment? Soso, eine indonesische Schriftstellerin, die „den Aufbruch in die Demokratie mit kritischer Stimme begleitet“, wie es im Katalogtext heißt, interessant, interessant. Die Möglichkeit, den kulturbeflissenen Hunger nach ungewöhnlichen Erfahrungen zu stillen: das also zur erfreulichen, der ehrenwerten Seite des Internationalen Literaturfestivals.

Nicht ganz so erfreulich, was mitunter zu beobachten ist, wenn man etwas tiefer in die Spezialitäten des Festivals eintaucht. Das Podium zum Stand der koreanischen Literatur zum Beispiel. Ungefähr 30 Leute sitzen im mit 300 Sitzen bestückten Saal, die beiden Autoren aus Korea, der Dichter Ko Un und der Romanautor Lee Hochol, wirken verloren: Sie haben wohl gehofft, in einem ehemals geteilten Land Interesse wecken zu können für das große Thema ihrer Literatur, die noch immer ausstehende Wiedervereinigung. Lee Hochol bedankt sich zerknirscht für das Interesse des (einzigen!) anwesenden Journalisten, der ihn im Anschluss interviewen wird – deprimierend. Als er zum wiederholten Mal sagt, dass das einfache Volk das Ruder in die Hand nehmen müsse, und Ko Un Sätze nachschiebt wie: „Friede ist ein Versprechen, das am Ende eines steinigen Weges liegt“, ist der Clash der Kulturen endgültig perfekt: Niemand im Publikum weiß darauf noch etwas zu sagen.

Anderntags gibt es eine Diskussion zum Stand der russischen Literatur, eine Veranstaltung, die vielleicht etwas mehr Glamour verspricht. Auf dem Podium sitzen Tatjana Tolstaja, die in Deutschland gerade mit ihrem futuristischen Schauerroman „Kys“ auf sich aufmerksam macht. Außerdem: eine Essayistin, Olga Schamborant, die wenig zu sagen hat, und ein unbekannter Dichter, dessen Name nicht recherchiert werden konnte, weil er nicht angekündigt war. Sergej Gladkich, der moderieren soll, kann eigentlich nur betrunken sein, anders sind seine seltsamen Methoden kaum zu erklären. Mit wenigen Sätzen stellt er die Autoren vor und wirft dann schwungvoll in die Runde: „Hier sind sie, die genialsten Dichter aller Zeiten, also, verehrtes Publikum, stellen Sie ihre Fragen.“ Eine Praktikantin des Festivals marschiert zum Podium und erklärt dem Dolmetscher, wie er mit der Technik umgehen soll. Derweil hat Tatjana Tolstaja begonnen, über experimentelle Moosbeeren zu dozieren und, der Moderator verlässt das Podium, weil ihm verboten wird, sie zu unterbrechen. Selbst die verschüchterten Praktikantinnen sind verschwunden, von Festivalseite ist keiner mehr da, der irgendwie eingreifen könnte.

Auch der Versuch, sich später beim russisch-deutschen Literaturfest von diesem amüsanten absurden Theater zu erholen, scheitert kläglich. Im düsteren Kinosaal des Martin-Gropius-Baus will die russische Gemeinde Berlins ans Literaturfest andocken, feiert dabei aber vor allem sich selbst. Warum auch nicht, es guckt ja sonst keiner hin: Das Ganze hat den Charme der Kulturveranstaltung eines Landfrauenvereins – selbst der Witz der Alltagsgeschichten Natalia Hantkes, die man von diversen Berliner Lesebühnen kennt, geht zwischen den überdrehten Märchenerzählerinnen und anderen Kleinkünstlern verschütt. Ob es wirklich so eine gute Idee der Festivalleitung war, nur 34 bezahlte Mitarbeiter einzustellen, dafür aber – und jetzt alle mal festhalten – 78 Praktikanten und Praktikantinnen, die auch nicht überall gleichzeitig sein können?

Das Internationale Literaturfest ist in den vergangenen Jahren viel dafür gelobt worden, dass es eigentlich kein Konzept hat. Dass die Moderationen manchmal unterirdisch sind und die Podien willkürlich zusammengepuzzelt, wurde unter „kreatives Chaos“ verbucht – ebenso, dass es oft so wirkt, als habe man einfach wie wild 1.000 Autoren eingeladen und blind darauf vertraut, dass schon irgendwie ein paar davon kommen werden. Aufgeklärte Menschen finden da schon durch, war die einhellige Meinung, Hauptsache, die Stimmung ist ausgelassen. Ausgelassen, keine Frage, ausgelassen ist die Stimmung auch in diesem Jahr wieder.