intra-uterine navigation von ILKE S. PRICK
:

Matilde blickt auf die Fahrbahn. Ich beobachte seit geraumer Zeit ihre weißen Fingerknöchel. Sie umklammert das Lenkrad wie einen wehrlosen Hals. „Es ist das Testosteron“, flüstert Sylvia. Gisela auf dem Beifahrersitz wendet derweil Deutschland auf ihrem Schoß hin und her. „Das ist eine Falk-Karte“, zischt Matilde. Doch bevor sie sich über die besondere Falttechnik auslässt, bei der man in Nordrhein-Westfalen nicht auch die Ostsee mit aufklappen muss, schreit Gisela: „Da vorn …“ Und nach einer Pause: „ … war unsere Ausfahrt.“ Seit einer Stunde umkreisen wir Köln. Ich überlege, ob die Gegend hier seit unserem letzten Besuch heimlich gewachsen ist.

„Wieso Testosteron?“, frage ich leise zurück, als Leverkusen zum dritten Mal an uns vorüberzieht. „Hast du es nicht gelesen?“ Sylvia schaut überrascht: „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Das mit dem Kartenlesen liegt nur am Testosteron.“ Sylvia kennt sich aus im geschlechtsdifferenten Forschungsstand. „Ein hoher Testosteronspiegel ist Voraussetzung für ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Jedenfalls finden sich Rattenweibchen mit Testosteroninjektion viel besser zurecht als ohne.“ Ich überlege, was das für Gisela heißt, über deren Schoß sich gerade die Mecklenburgische Seenplatte ergießt. „Darum sind Männer mit ihrem Testosteronspiegel besser im Kartenlesen, im Beutemachen und bei Jagd- und Fangspielen als Frauen.“ – „Ich erinnere mich dunkel“, antworte ich, denn schließlich bin auch ich schon mal Tanzen gegangen. „Und bei Lesben soll das ähnlich sein wie bei Männern“, schlaumeiert Sylvia lauthals weiter.

„Alles Testosteron, soso.“ Im Rückspiegel sehe ich Matildes rotierende Augäpfel, als sie zum Gegenschlag ausholt. „Hast du schon mal was von Harriet Lerner gehört?“ Ich zucke zusammen und mache mich für den Kampf der Untersuchungs-Gigantinnen bereit. „Harriet Lerner hat herausgefunden, dass schlechte Orientierung mit der Fehlbenennung weiblicher Genitalien zusammenhängt. Keine Benennung des inneren Raumes – keine Aneignung des äußeren.“ Sie überholt ohne zu blinken. „Praktisch heißt das: Um eine Straßenkarte lesen zu können, musst du eine Ahnung von deiner inneren Landkarte haben.“

„Das kann nicht dein Ernst sein!“, grunzt Sylvia nach kurzer Überlegung, bevor es glucksend aus ihr herausbricht: „Schuldigung, wie komme ich hier nach Köln? – Ach, fahren Sie einfach den Gebärmutterhals hoch, dann nach dem Uterus links abbiegen und immer schön im Eileiter längs. Prima!“ – „Na, da kommst du aber nicht sehr weit.“ Auch ich kann mich mittlerweile nicht mehr beherrschen. „Denn der Eierstock ist doch irgendwie ’ne Sackgasse, oder?“

Matilde seufzt. „Passt auf, ich geb euch ein Beispiel.“ Sie schielt hinüber zu Gisela, die voll konzentriert auf Bremerhaven starrt. „Gisela, wie hat deine Mutter früher deine Vagina genannt?“ – „Hm?“ Giselas Finger fährt die Weser entlang. „Deine Mutter! Deine Vagina!“, drängelt Matilde. Ich wäre froh, wenn sie wieder auf die Straße blicken würde. „Pullermann. Wieso?“ Gisela schaut verwirrt, und Matilde grinst in den Rückspiegel: „Kapiert ihr nun, warum wir immer noch nicht angekommen sind? Trotz Damenbart …“