„Die Entwicklung zwingt zu neuen Fragen“

Die Grenzen der Forschung müssen immer wieder überdacht werden, sagt Spiros Simitis, der Vorsitzende des Ethikrats. Nicht nur wegen des Tempos, das die Biotechnologie angenommen hat, auch die Europäische Verfassung zwinge dazu

taz: Will die Mehrheit des Ethikrates das in Deutschland geltende Klonverbot kippen?

Spiros Simitis: Soweit es um das Verbot des reproduktiven Klonens geht, sind sich alle Mitglieder einig, dass es sehr klar ausgesprochen werden muss. Beim therapeutischen Klonen gibt es dagegen eine sehr intensive Debatte mit sehr unterschiedlichen Ansichten. Das bedeutet aber nicht, dass diese unterschiedlichen Positionen alle darauf hinauslaufen, das therapeutische Klonen zu akzeptieren.

 In der Süddeutschen Zeitung war im Zusammenhang mit dem Ethikrat sogar die Rede vom Räumkommando, das jetzt das Klonverbot beiseite räumen will.

Wer den Artikel liest, weiß, dass dort aus internen Unterlagen zitiert worden ist, auch aus verschiedenen E-Mails. Die dort wiedergegebene Rekonstruktion der augenblicklichen Diskussion stimmt aber so nicht. Wie es letztendlich aussehen wird, hoffe ich, sollte mehr oder weniger am Donnerstag feststehen.

 Kritik hat auch Ihre Bemerkung ausgelöst, der Bundestag solle mit der Stellungnahme aufgefordert werden, das Klonverbot erneut zu diskutieren.

Ich habe gesagt und ich bleibe dabei: Bei der Biotechnologie ist es so, dass Entscheidungen auch des Bundestages Entscheidungen sind, die immer wieder von neuem überdacht werden müssen. Die Biotechnologie entwickelt sich in einem immer schnelleren Tempo. Sie zwingt uns dazu, uns immer wieder neuen Fragen zu stellen. Das bedeutet nicht, dass man das Klonverbot infrage stellt oder dass man notwendigerweise eine andere Position einnehmen muss. Das bedeutet aber, dass man seine Position vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen überdenken und auch die notwendigen Konsequenzen ziehen muss.

 Man kann ja nun nicht behaupten, dass der Bundestag sich in der Vergangenheit nicht mit dem Thema Klonen beschäftigt hat. Gibt es denn neue Argumente, die eine erneute Diskussion rechtfertigen?

Eines der möglichen Argumente wäre, dass die Entwicklung, wie wir sie jetzt in Großbritannien erlebt haben, dazu führt, dass noch deutlicher als bisher die unterschiedlichen Positionen in der Europäischen Union klar werden. Wir sind am Beginn einer neuen Phase der Europäischen Union. Einer Phase, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Annahme einer gemeinsamen Verfassung bevorsteht und dass in dieser Verfassung das reproduktive Klonen strikt abgelehnt wird. In derselben Verfassung wird aber auch sehr klar gesagt, dass keine eugenischen Experimente vorgenommen werden dürfen. Daraus folgen auch Konsequenzen für die gesamte Debatte, die mit Stammzellen und Embryonen zu tun hat.

 Denken Sie da vor allem auch an die EU-Finanzierung von Klonforschung?

Ich denke an zweierlei. An die Finanzierung, weil sie in der Vergangenheit schon eine Rolle gespielt hat. Ich erinnere nur an den Streit um die Finanzierung von Stammzellforschung. Ich denke aber auch an das, was man etwas merkwürdig, aber doch nicht ganz unzutreffend als Biotourismus bezeichnet hat. Wenn wir ein vereintes Europa haben, kann es nicht sein, dass ein solcher Biotourismus wie selbstverständlich hingenommen wird.

 Um zu verhindern, dass Forscher für hierzulande verbotene Forschungsvorhaben in andere EU-Staaten ausweichen, wäre also eine einheitliche europäische Gesetzgebung notwendig?

Sie können ganz sicher sein, dass über kurz oder lang die Europäische Kommission, auf welchen Umwegen auch immer, Regelungen treffen wird. Man kann nicht so tun, als ob die EU nichts zu sagen hätte.

 Werden Sie auf Ihrer Sitzung auch diskutieren, welche Funktion der Nationale Ethikrat eigentlich hat?

Ich glaube, dass wir das nicht zu tun brauchen. Der Ethikrat war sich von Anfang an im Klaren, dass seine entscheidende Aufgabe darin besteht, Argumente in bestimmten für die Gesellschaft wichtigen Debatten aufzugreifen, diese Argumente zu analysieren und sie zusammenzustellen, so dass der Gesetzgeber auf diese Ausarbeitungen zurückgreifen kann, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Der Nationale Ethikrat ist keine Institution, die Vorgaben macht, die den Gesetzgeber in irgendeiner Weise binden oder ihn nur auf einen ganz bestimmten Weg bringen sollen.

 Schon in der Vergangenheit ist kritisiert worden, dass in den Stellungnahmen nicht nur Optionen aufgezeigt werden, sondern dass auch die Mehrheitsmeinung des Ethikrates deutlich zum Ausdruck kommt.

Ich verstehe diese Kritik sehr gut, muss aber gleich auf eines hinweisen: Bei der Stellungnahme zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen, der allerersten Äußerung des Ethikrates, waren die Mitglieder der Meinung, man sollte lediglich die einzelnen Positionen aufzeigen. Einzelne Journalisten haben daraufhin vier der Mitglieder angerufen und gesagt, man bräuchte nur alle Mitglieder anzurufen und wüsste dann sehr schnell, wie die Mehrheitsverhältnisse waren und wer sich wofür ausgesprochen hat.

INTERVIEW: WOLFGANG LÖHR