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Archiv-Artikel

Auf einen kleinen Galopp-Sprung in Riesenbeck

Der Springreiter Ludger Beerbaum gehört zu den wenigen Medaillen-Bänken aus Nordrhein-Westfalen. Ein Besuch auf seinem münsterländischen Gestüt zeigt, dass die Vorbereitung auf Olympische Spiele auch stressfrei verlaufen kann. Für hörbare Ablenkung sorgt vor allem der rockende Sohn

RIESENBECK taz ■ Würde man im nördlichen Münsterland den durchschnittlichen Inhalt eines Hektar Lands nehmen, so käme man auf drei rote Backsteinhäuschen, eine große Menge saftiger Wiesen und 3,5 Pferde. Dringt man aber noch ein Stückchen weiter bis in den kleinen Ortsteil Riesenbeck vor, so kommt man hier auf den stolzen Inhalt von drei geräumigen Stallkomplexen, jeder Menge hochkarätiger Turnierpferde und einem vierfachen Olympioniken.

Ludger Beerbaum ist wohl der bekannteste Bewohner dieses westfälischen Landstriches. Seit 1995 leben Barbara, Vivien, Alexander und Ludger Beerbaum gemeinsam mit Onkel und Tante auf dem eigenen Anwesen am Ende des „Prozessionsweges“ in Riesenbeck. Doch auch wenn sowohl der “Prozessionsweg“ als auch der „Riese“ im Ortsnamen auf eine vermeintlich luxuriös-ehrfürchtige Anlage hinweisen: Ludger Beerbaum ist trotz seiner ruhmreichen Gold-Historie der letzten vier olympischen Spiele von beständig bodenständiger Natur.

Ein Durchgang durch den Backsteingemauerten Komplex beweist: hier muss es praktisch zugehen. Dabei spielen viele mit anpackende Hände und ein effektives Team eine wichtige Rolle. Schließlich leben bei Ludger Beerbaum nicht nur das Olympiapferd Goldfever, sondern auch noch jede Menge Nachwuchstalente, die mal in seine Fußstapfen treten sollen. So zum Beispiel der Hengst „Couleur Rubin“ auf dessen Rücken der Olympionike noch einen Tag vor der olympischen Eröffnungsfeier seine Runden dreht. Locker lenkt er den Hengst über den Reitplatz: Zuerst über ein kleines Kreuz, dann durch eine gymnastizierende Sprungreihe. Über dem Reitplatz liegt eine entspannte Atmosphäre. Doch was, wenn die Tiere aus der heimischen Idylle in den Olympia Trubel Athen geflogen werden? Genau aus diesem Grund fiel die Entscheidung, die ebenso sprungstarke Stute Gladdys S zu Hause zu lassen. „Gerade im vollbesetzten Stadion ist es oftmals schwer, die Aufmerksamkeit der Pferde auf die Sprünge zu lenken“, verdeutlicht Ludger Beerbaum die Situation. „Da ist gerade die Stute Gladdys S schon gerne ein bisschen abgelenkt, fast schüchtern und gehemmt. Goldfever dagegen macht seine Sache da besser. Ihn stachelt solch eine Atmosphäre eher an.“

Genau wie ihn, den Wettkampftyp. Der Gang durch seine Büroräume ist gespickt mit Bildern des Erfolges: Mannschafts-Gold 1996 in Atlanta, Mannschafts-Gold 2000 in Sydney und 1992 sogar Einzelgold bei den Olympischen Spielen in Barcelona. Das würde er jetzt natürlich gerne wiederholen, aber auch in dieser Einschätzung bleibt er Realist. „Wenn man sich einmal die letzten Olympiaden ansieht, hat es gerade in der Einzelwertung immer wieder Überraschungen gegeben. Es siegten nie die absoluten Favoriten. Das ich gegenüber John Whitaker und seinem Milton 1992 Gold holte, war auf keinen Fall klar. Fakt ist: Wenn es am richtigen Tag gut läuft, ist alles möglich.“

Weniger schwer einzuschätzen sind dagegen die Chancen der deutschen Spring-Mannschaft. Mit im Team der jetzige „Stall-Mitbewohner“ und frühere Bereiter Ludger Beerbaums, Marco Kutscher. Mittlerweile hat er auf dem Riesenbeck‘schen Anliegen eine eigene Stallgasse und galoppiert dicht auf Erfolgskurs seines ehemaligen Arbeitgebers. Rivalität entsteht für Ludger Beerbaum dadurch aber nicht. Für ihn wird Deutschland im Pferdesport immer die Nase vorn haben, egal ob mit oder ohne ihn. Und wenn er nicht mehr ganz oben dabei ist, dann vielleicht Tochter Vivien, die jetzt schon erfolgreich Turniere reitet. Nur Sohn Alexander lässt sich von Pferden noch nicht so recht überzeugen. Das einzige, was er an den Vierbeinern schätzt, sind ihre wertvollen Schweifhaare. Denn Alexander will Rockstar werden und spielt Gitarre.

LUCIA LENZEN