Am Winterfeldtplatz

Von 11 bis 12 Uhr

High Noon. Ich setze mich an die tote Ecke des Winterfeldtplatzes, auf eine der welligen Eisenbänke unterhalb der Kirche. Ein guter Ort zum Nachdenken übrigens. Während dieser Stunde setzt sich einmal eine junge Frau auf die äußerste Bank links, um ihr Baby zu stillen. Einmal steigt ein etwa 45-jähriger Mann vom Fahrrad und packt seine Stullen aus. Ansonsten wird man in Ruhe gelassen – wenn man von dem Spatzenschwarm absieht, der für fünf Minuten den Baum hinter der Nebenbank überfällt: ein kurzer Showdown unter Piepmätzen, die Filmtitel zu kennen scheinen.

Ansonsten werde ich jetzt, zur Halbzeit dieser Miniaturen, sentimental. „Stolz auf unser Land“ – dieser Buchtitel von Richard Rorty sorgte vor einigen Jahren für Diskussionen. Ich muss mir wohl endgültig eingestehen: Ich bin stolz auf diesen Platz! Nicht, weil er hipp wäre, bewahre; fürs Hippseinwollen ist dieser Platz längst viel zu gelassen. Sondern weil hier viele gute Ideen recht gut verwirklicht wurden. Das okaye Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Hintergründen, das gegenseitige Gewährenlassen von unterschiedlichen Lebensentwürfen – hier klappt das doch eigentlich ganz gut. Und das alles ganz selbstverständlich und ohne Sozialkitsch! Der Winterfeldtplatz: Kosmopolitismus in der Kiezvariante.

Bei alledem muss ich seltsam ausgesehen haben zu dieser Stunde: ein 40-jähriger Mann, der sechzig Minuten lang herumsitzt und dann und wann etwas in sein Notizheft kritzelt. Innerlich war es die durchaus pathetische Stunde, da ich meine Winterfeldtplatz-Affinität in die Geschichte der Emanzipationsbewegungen einschreiben wollte. Auch das klappte eigentlich ganz gut. DIRK KNIPPHALS

(12 bis 13 Uhr: kommenden Freitag)