Die surreale Show der Schnauzbärte

Der Krieg und die Medien (IV): Die „Embedded Journalists“ bestimmten das Gesicht des Irakkriegs. Doch auch auf irakischer Seite waren unabhängige Journalisten unterwegs. Wie der Korrespondent des österreichischen Nachrichtenmagazins „News“

von THOMAS SEIFERT

Dieser Krieg war gut vorbereitet. Am 14. Januar 2003 lud Bryan Whitman, Staatssekretärin für öffentliche Angelegenheiten im Verteidigungsministerium, eine Gruppe einflussreicher Medienvertreter ins Pentagon nach Washington. Es gab wichtige Dinge zu besprechen: die Totalmobilmachung der Medien für den Irakkrieg. Wird es wieder ein Pool-System geben wie im letzten Golfkrieg, wo nur wenige Journalisten den Krieg mit eigenen Augen sehen werden, war eine der Fragen. Antwort: nein. Die Medienvertreter sind beruhigt. Dieses Mal werden die Journalisten „embedded“, das heißt, sie werden vom Anfang bis zum Kriegsende bei der Truppe sein.

Am selben Tag suchte ein Unmovic-Waffeninspektorenteam im fernen Irak das „Al-Rabia-Zentrum für landwirtschaftliche Forschung“ nach Massenvernichtungswaffen oder Apparaturen zu deren Erzeugung ab. Doch der Krieg hatte längst begonnen. Zumindest an der zweiten Front. In Washington rüsteten Pentagon und Medien für den Krieg.

Auch ich rüstete damals für den Krieg – allerdings in Wien. Thuraya-Satellitentelefone wurden für die Redaktion angeschafft, Kevlar-Schutzhelme, Splitterschutzwesten, Gasmasken, Kampfstoffnachweispapier, Nervengasanzeiger, Schutzmasken, ABC-Schutzanzüge.

Genau jene Ausrüstungsgegenstände, die weit entfernt in dutzenden Armeestützpunkten der Marines und US-Infantrie gerade an tausende Soldaten ausgegeben wurden. Ein seltsames Gefühl, ausgestattet wie ein Soldat in den Irak zu fahren und dort darauf zu warten, dass die Bomben fallen. Auf- und abschwellender Sirenenton. Salven von Maschinenkanonen feuern in die Morgendämmerung. Dann Detonationen. Der Krieg hat begonnen. Ich gehe ans Fenster, Leuchtspurmonition schießt in den Himmel.

Am Tag vor dem Ablauf des Ultimatums hatte es im staatlichen Informationsministerium erhebliche Auflösungserscheinungen gegeben, zuerst wollte man meinen Fotografen Markus Matzel und mich aus dem Land expedieren, weil uns jemand gesehen hatte, wie wir uns verbotenerweise im schiitischen Teil der Stadt – damals Saddam City – umgesehen hatten.

Staatliche Aufpasser im Ministerium, die uns eigentlich bespitzeln sollten, halfen uns. Schließlich zahlten wir horrende Summen – keine Bestechungsgelder, sondern die „normalen“ Akkreditierungsgebühren – und bekamen einfach einen neuen Presseausweis. Wollten einige Informationsministeriums-Beamte noch schnell vor dem Ende des Systems abkassieren?

Die Bürokratie der Baath

Die Arbeit im Irak war bis zum Kriegsausbruch ein ständiger Kampf gegen die totalitäre Baath-Bürokratie gewesen. Vernünftige Geschichten kamen nur zustande, weil Freunde immer wieder illegale Breschen durch den Dschungel der Verordnungen geschlagen hatten.

Im Krieg wurden dann die Journalisten noch stärker überwacht, man durfte nur mehr im Hotel Palestine wohnen. Wir wurden wie eine Viehherde von einem Bombentrichter zu einer zerstörten Telefonvermittlungszentrale geführt. Anschließend Pressekonferenz im Informationsministerium. Mohammed Al-Sahhaf führte uns vor Augen, wie surreal dieser Krieg war. Keine zwei Narrative, wo eine Wahrheit der anderen gegenüberstand, sondern eine an nackten Wahnsinn grenzende Realitätsverweigerung des irakischen Regimes. Glaubt „Comical Ali“ den Unsinn, den er verbreitet? Wetten wurden abgeschlossen. An den Abenden wieder Pressekonferenzen im Hotel Palestine oder gegenüber, im Hotel Sheraton mit den von Tag zu Tag fahler werdenden Honoratioren des Saddam-Regimes.

Und doch hatten wir auch Wichtiges zu berichten: Unschuldige Menschen sterben. Kindern werden die Eingeweide von Metallsplittern zerfetzt. Menschen verbrennen. Werden von herabfallenden Gebäudeteilen zerquetscht. Die Folgen des Krieges gab es in den Spitälern und Leichenschauhäusern zu sehen. Journalismus ist auch: Zeugnis abzulegen und sagen zu können: Ich war da und habe es mit eigenen Augen gesehen.

Auf genau solche Berichte baute das Regime, das wussten wir. An der „zweiten Front“, der medialen, sollte das sichtbar gemachte Kriegsleid des irakischen Volkes die Weltöffentlichkeit aufrütteln und so den Krieg verhindern oder zumindest ins Stocken bringen. Das war die Rolle, die der Irak den internationalen Medien zugedacht hatte.

Aber hat nicht ein erzürnter Arzt, der einen im Spitalsflur stehend beschwört, „der Welt zu zeigen, was uns hier angetan wird“, ein Recht darauf, dass genau das geschieht, selbst wenn ein verbrecherisches Regime seinen Kollateralnutzen aus aufwühlenden Bildern und Reportagen zieht?

Wenn es uns zu plump wurde, spielten viele das Propagandaspiel ohnehin nicht mit. Manche Kolleginnen und Kollegen (zumeist Fernsehleute) nahmen es allerdings nicht so genau. Sie wollten ihre Bilder und Geschichten aus Bagdad verkaufen, selbst wenn sie inszeniert waren. Warum wurde eines Tages am Tigrisufer, ausgerechnet vor dem Informationsministerium (wo die meisten Fernsehstationen ihre improvisierten Studios hatten), ein angeblich abgeschossener Pilot gesucht, Salven aus Kalaschnikow-Sturmgewehren ins Wasser gefeuert? Sollte der US- Pilot tatsächlich so bescheuert sein, sich mitten im Ministerienviertel zu verstecken? Und warum filmten die Kamerateams willfährig in der Nacht einen weiteren Sucheinsatz am Tigrisufer, diesmal praktischerweise gleich vor den Fenstern des Hotel Palestine, wo sämtliche Journalisten verweilen?

Es ging so weit, dass der Leiter der Presseabteilung des Informationsministeriums uns eines Abends im Café des Hotels zusammentrommelte, um uns daran zu erinnern, dass dort draußen, direkt vor unseren Fenstern ein „wirklicher Krieg“ tobt. Er hatte Recht: Das hätte man angesichts der surrealen Situation tatsächlich vergessen können. Dabei hatten er und seine Schnauzbärte vom Mukhabarat-Geheimdienst an der Errichtung dieser surrealen Kulisse mitgezimmert.

Eine weitere Episode: Kurz vor dem Ende des Regimes zeigte man uns einen M-1-Panzer im Süden Bagdads. Von den Irakern abgeschossen. Völlig zerstört. Jubelnde Republikanische Garden und Saddam-Fedayin. Wir kommen zu diesem Schlachtfeld (auf die zerstörten Panzerabwehrgeschütze der Iraker weist übrigens niemand hin). Über unseren Köpfen dröhnen US-Kampfflugzeuge. Hier hat ein schweres Gefecht stattgefunden, daran besteht kein Zweifel. Aber warum ist am M-1 ein Abschleppgestänge befestigt? Warum ist der Turm nach hinten gedreht? Warum ist der Einschlagtrichter so geformt, als sei die Bombe oder das Geschoss direkt von oben kommend neben dem Panzer eingeschlagen und hat diesen zerstört? – Der Panzer ist wohl liegen geblieben und wurde, weil er nicht zu bergen war, von den Amerikanern selbst vernichtet. Doch der Fernsehzuschauer sah nur jubelde Iraker und einen zerstörten US-Panzer. Zu einem Zeitpunkt, wo die US-Truppen bereits den Flughafen eingenommen hatten und das Schicksal der irakischen Armee besiegelt war. An der zweiten Front hatte an diesem Tag der Irak die Oberhand.

Saddam vom Sockel

Tage später, am 9. April, dann Bilder vom Sturz der Saddam-Statue am Fardous-Platz (Paradiesplatz) direkt vor dem Hotel Palestine im Stadtzentrum von Bagdad: Ein US-Panzer holt die Saddam-Statue vom Sockel. Saddam mit US-Flagge über dem Kopf? Mit irakischer Flagge? Mit gar keiner? Welche Bilder sollen für die Weltpresse produziert werden? Die Marines vor Ort sind unschlüssig. Irgendwann liegt der Stahl-Saddam im Dreck, „der Irakkrieg ist vorbei“ (er dauert, euphemistisch als low level conflict bezeichnet, bis heute an), und es wird später heißen, dass an diesem Platz, an diesem 9. April Geschichte gemacht worden ist.

Und wir waren dabei. Aus Geschichten wurde Geschichte. Ein amerikanischer Lehrsatz der Publizistik lautet: „Journalism is the first draft of history“ – Journalismus ist der erste Entwurf der Geschichtsschreibung.