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Archiv-Artikel

Kampf dem inneren Feind

Die Reform der Polizei scheiterte nach 1945 nicht nur daran, dass Strukturen der NS-Zeit überlebten. Negativ wirkte vor allem die preußisch-obrigkeitsstaatliche Tradition weiter

Außer bei Historikern ist der kommunistische Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 heute kaum bekannt. Dennoch hat die kurze Revolte, die 24 Aufständische und 17 Polizisten das Leben kostete, die deutsche Nachkriegspolizei nachhaltiger geprägt als alle Vorgaben der alliierten Siegermächte. So jedenfalls lautet die überraschende These von Erwin Boldt.

Damit setzt sich der ehemalige Leiter der Hamburger Polizeischule deutlich von der gängigen Erklärung ab, wonach der Misserfolg bei einer grundlegenden Polizeireform in Deutschland im Fortwirken nationalsozialistischer Einflüsse zu suchen ist. Um den Nationalsozialismus auszurotten, dies war den Alliierten klar, würde ein Sieg über die Wehrmacht allein nicht ausreichen. Auch den Polizeiapparat der Nazis von Grund auf zu erneuern, gehörte daher zu den erklärten Kriegszielen.

Der ursprüngliche Plan, eine unabhängige alliierte Polizeimacht zu schaffen, musste wegen der immensen damit verbundenen Probleme aufgegeben werden. So wurden nur die hochbelasteten Nazi-Führungskader entlassen und inhaftiert; die Polizei blieb zunächst organisatorisch und mit den meisten ihrer bisherigen Aufgaben bestehen, wurde jedoch einer strengen Kontrolle unterstellt.

Im zweiten Schritt sollte sie dann entsprechend dem Polizeiverständnis der Siegermächte umgebaut werden. In Hamburg setzten die Briten für diese Reorganisation Polizeiführer ein, die überwiegend überzeugte Weimarer Demokraten waren und 1933 von den Nazis aus der Polizei entfernt, teilweise politisch verfolgt und gemaßregelt worden waren. Ähnlich verlief die Entwicklung in der ganzen britischen Besatzungszone (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein). Nicht der Nationalsozialismus, so Boldt, war für das Scheitern einer Reform verantwortlich, die aus einem Unterdrückungsapparat eine politisch neutrale, zivile und bürgernahe Polizei machen sollte, sondern die Berufs- und Lebenserfahrungen dieser Polizeiführer während der Weimarer Republik.

Anhand der Lebensläufe der Hamburger Polizeioffiziere, insbesondere ihrer Prägung durch den Oktoberaufstand von 1923, legt er dar, dass sie infolge der kriegsbedingten Isolierung Deutschlands kaum eine Möglichkeit hatten, zu einem anderen, zeitgemäßen Polizeiverständnis zu kommen. Somit blieben sie den alten polizeilichen Denkschemen „ihrer“ Zeit verhaftet und bemühten sich zu einer verbesserten Fortführung der preußisch geprägten Weimarer Polizei zu kommen. Gegen Vorhaben, die Polizei zu dezentralisieren und zu zivilisieren, leisteten sie Widerstand.

In ihrer Sicht bestärkt wurden sie zudem durch die sich rasch anbahnenden Spannungen zwischen Ost und West. Stützen konnten sie sich bei der Forderung nach einer zentralisierten, schlagkräftigen Polizei auf den früheren preußischen Innenminister Carl Severin, der 1947–1952 im Landtag von NRW saß. Da auch die Bevölkerung ähnlich dachte, konnten sich ihre Sicherheitsvorstellungen über die britische Zone hinaus durchsetzen. Resigniert mussten die Briten feststellen, dass es nicht gelungen war, den Deutschen den Gedanken einer zivilen Polizei nach Art des englischen „Bobby“ nahe zu bringen. OTTO DIEDERICHS

Erwin B. Boldt: „Die verschenkte Reform. Der Neuaufbau der Hamburger Polizei zwischen Weimarer Tradition und den Vorgaben der britischen Besatzungsmacht (1945–1955)“, 408 Seiten, LIT-Verlag 2003, 35,90 €