Mit Witz an die Spitze der Berliner Juden

Der Berliner Jurist Albert Meyer hat beste Chancen, bald die größte jüdische Gemeinde Deutschlands zu führen

Telefonate mit Albert Meyer beginnen in der Regel mit einem Witz. Gespielt beleidigt reagierte er etwa, als er vor einigen Wochen nach einem Konkurrenzkandidaten um den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin befragt wurde: Ihn selbst, gab er leicht kokett zurück, erachte man also nicht als möglichen Gewinner – und lachte sein typisches lautes Meyer-Lachen, das häufig zu hören war in letzter Zeit, wenn im Gemeindeparlament, der Repräsentantenversammlung, mal wieder was schief lief.

Jetzt hat der Berliner Rechtsanwalt und Notar gut lachen. Er wird höchstwahrscheinlich nach den Vorstandswahlen im Oktober neuer Vorsitzender der größten jüdischen Gemeinde der Bundesrepublik. Und damit zu den vier, fünf wichtigsten jüdischen Stimmen in Deutschland avancieren.

Ihm zugute kommen wird, dass Meyer zu den mittlerweile nur noch wenigen Juden in der Bundesrepublik gehört, die aus dem deutsch-jüdischen Milieu stammen, das der Holocaust vernichtet hat: Sein Vater Erich Meyer war wie der Sohn Rechtsanwalt und Notar – und wer Albert Meyer erlebt, merkt schnell, dass er sich in dieser Geschichts- und Familientradition sieht. Erich Meyer war 1925, in den goldenen Zeiten Berlins, als Anwalt zugelassen worden. Nach dem Machtantritt der Nazis wurde er wegen so genannter Rassenschande 1936 verhaftet, jedoch aus Mangel an Beweisen entlassen.

Erich Meyer wurde 1938 wegen „Beleidigung des Führers“ erneut inhaftiert, kam aber nach einer Amnestie wieder frei. Er überlebte die Schoah in Berlin und in der Nähe von Potsdam, zuerst als Zwangsarbeiter, dann als Illegaler im Untergrund. Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft wurde er wieder als Anwalt zugelassen, 1947 – dem Jahr, in dem sein Sohn Albert geboren wurde.

Gut bildungsbürgerlich-liberal ist dessen lebenslanges, international ausgerichtetes Lernen: Albert Meyer studierte nach einer Schulausbildung in Westberlin, England und der Schweiz in Berlin und Göttingen Jura. Die Referandarzeit absolvierte er teilweise in Israel. Vor 20 Jahren wurde er Anwalt in Berlin, 1993 Notar. Ein Zusatzstudium im europäischen und internationalen Wirtschaftsrecht machte Meyer im Schweizer St. Gallen seit 1998. An der Freien Universität Berlin promovierte er in diesem Jahr.

Auf Meyers Wahlliste „Kadima“ (Vorwärts) stand auch sein Freund Julius Schoeps, der Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam – und immer wieder hat Meyer ironische Bemerkungen darüber gemacht, dass sie bald die Einzigen seien, die noch etwas mit dem liberal geprägten deutschen Judentum zu tun hätten. In dem Witz steckt ein Kern Wahrheit, da die 12.000 Gemeindemitglieder tatsächlich heutzutage entweder aus Familien osteuropäischer „Displaced Persons“ stammen oder Zuwanderer aus den Staaten der GUS sind. Umso überraschender am Wahlausgang ist, dass die „Russen“, die etwa zwei Drittel der Gemeindemitglieder ausmachen, kaum vertreten sind.

So hat es Meyer offenbar nicht geschadet, dass er nicht Russisch spricht wie der Noch-Gemeindevorsitzende Alexander Brenner. Meyers Liste errang die Zweidrittelmehrheit im Gemeindeparlament. Das hatte selbst der langjährige Chef der Gemeinde und Zentralsratsvorsitzende Heinz Galinski nie geschafft. Und über den macht Meyer nur selten Witze. PHILIPP GESSLER