: Eine Tonne TNT auf Geheimdienst
Ein schwerer Bombenanschlag in Inguschetien tötet vier Menschen und verletzt 24 weitere. Vermutlich steht der Anschlag im Zusammenhang mit der tschetschenischen Wahlfarce am 5. Oktober. Der Tschetschenien-Konflikt könnte sich noch ausweiten
aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH
Bei einem Bombenanschlag in der nordkaukasischen Republik Inguschetien sind gestern mindestens vier Menschen getötet und 24 zum Teil schwer verletzt worden. Vor dem Gebäude des Geheimdienstes FSB in dem neuen inguschetischen Regierungssitz Magas explodierte gestern Mittag nach Angaben der Ermittlungsbehörden ein Sprengsatz von rund einer Tonne TNT.
Bei dem Anschlag soll auch der Vizechef des tschetschenischen Geheimdienstes FSB umgekommen sein. Inguschetien grenzt an die seit vier Jahren vom Krieg heimgesuchte abtrünnige Republik Tschetschenien. Zur Zeit der Detonation sollen sich an die hundert Mitarbeiter in dem Gebäude aufgehalten haben. Auch das Bauwerk soll von der Wucht der Explosion erheblich beschädigt worden sein.
Nach vorläufigen Angaben der Behörden war der Sprengsatz in einem Lkw versteckt. Ob dieser ungehindert auf das Regierungsgelände gelangen konnte oder dort vorher gar abgestellt worden war, konnte bis gestern Abend niemand sagen. Die Verletzten wurden in Krankenhäuser in Wladikawkas gebracht, der Hauptstadt Nordossetiens.
Bei ähnlichen Bombenanschlägen sind in diesem Jahr in der Krisenregion 180 Menschen gestorben und 500 verletzt worden.
Noch ist von den Motiven der Attentäter nichts bekannt. Im Vorfeld der für den 5. Oktober angesetzten Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien hatten tschetschenische Rebellen indes kein Hehl daraus gemacht, dass sie Moskaus Wahlinszenierung stören würden.
In der vorigen Woche hatte der Kreml noch die letzten ernsthaften Gegenkandidaten des Moskauer Statthalters Achmed Kadyrow zum Verzicht auf die Kandidatur gezwungen. Unter ihnen den einzigen tschetschenischen Duma-Abegeordneten Aslambek Aslachanow und zwei bekannte tschetschenische Geschäftsleute aus Moskau. Inzwischen geben selbst Mitarbeiter der Kreml-Administration zu, dass die tschetschenische Präsidentschaftswahl eine einzige Farce sei.
In Inguschetien hatte der Kreml im vergangenen Jahr bereits einen Präsidenten inthronisiert, ohne den groben Wahlbetrug auch nur notdürftig zu kaschieren. Mit Murat Siasikow setzte Präsident Wladimir Putin einen Berufskollegen aus dem Geheimdienst KGB auf den Posten.
Siasikow hat im Laufe seiner Amtszeit die Wünsche der Moskauer Zentrale gewissenhaft erfüllt. Besonders verdient gemacht hat er sich um die Zwangs- und Rückumsiedlung tschetschenischer Flüchtlinge ins Kriegsgebiet. Proteste internationaler Hilfsorganisationen verhallten ungehört. Wer sich weigert, zurückzukehren, wird von Provokateuren in Uniform aufgesucht.
Grundsätzlich hatte der Geheimdienstler Siasikow auch den Plänen des Sonderbeauftragten des Kremlchefs im russischen Süden, Wiktor Kasanzew, zugestimmt, der in einem Papier an den Kreml im November vor zwei Jahren dafür plädierte, die Konfliktzone im Nordkaukasus nach Inguschetien auszuweiten: Durch Vertreibung der Flüchtlinge, Ansiedlung russischstämmiger Kosaken und Einsetzung einer moskautreuen Regierung. Der Anschlag von gestern könnte darauf eine Antwort gewesen sein.