: Wir im Urwald
Soviel Fürsorge war selten: Wir sind Helden und Sportfreunde Stiller spendeten Nestwärme in Bremen
Der Schulterschluss, da ist er wieder. Rechts und Links den Konzertmitbesucher umarmt und einen Kreis gebildet zum Tanzen. Auch wenn nur zwei andere mitmachen und der Kreis mit drei Beteiligten zum Knödel wird. Und auch wenn sich unter den Füßen statt weich getretener Festivalwiese ein frisch geteerter Parkplatz befindet. Das macht nichts, denn: „Wir müssen nur wollen“. Melancholisch, dabei kraftvoll, rauchig und weich: „Wir müssen nur wollen!“ Und: „Wir können alles schaffen!“ Eine Botschaft zum Feiern, keine Frage. Irgenwann war dieser Wir sind Helden-Hit mal als Kritik an der Leistungsgesellschaft gedacht, an diesem Abend auf dem Open-Air-Parkplatz vor dem Bremer Pier 2 aber wird er zum kollektiven Mutmacher – die Betonung liegt auf „Wir“. Es geht um die Nestwärme nach innen. Da ist das mit der Kritik nach außen erstmal nicht so wichtig.
Der Band aus Berlin ist das völlig klar. „Was für ein wunderschöner Tag für Freizeitverhalten“ sagt Wir sind Helden-Sängerin Judith Holofernes in Richtung Sonnenuntergang, vorbei an der ultraglatten Space Park-Fassade an der Kopfseite des Geländes und der malerisch verkommenen Hafenanlage zur Rechten. Ein bisschen „Aerobic“ solle das Publikum machen zum Song „Alphamännchen“. Und bei „Rüssel an Schwanz“ wolle man die Konzertbesucher auf den Schultern von Mitbesuchern sehen. „Was ihr jetzt für uns darstellt ist ein Wald“, sagt Holofernes. „Ein Urwald.“
Musikpädagogik? Irgendwie schon: „An Eurer Stelle würde ich, wenn’s euren Untermännern zu schwer wird, die Position wieder verlassen“ rät die Sängerin. Soviel Fürsorge bei einem Rockkonzert war selten. Zum Dank gehen beim Rio Reiser-Coversong „Halt’ dich an deiner Liebe fest“ neben den alten Feuerzeugen die neuen Fotohandys in die Luft und junge Menschen lassen sich sanft auf Händen tragen. Die Betonung liegt auf „sanft“.
Es passt bestens, dass Wir sind Helden zusammen mit Sportfreunde Stiller auf Tour sind. Von denen kommt vorab euphorische Gitarren-Musik, extrem eingängig und inhaltlich zweifellos konsensfähig: „Du und ich und sonst noch n’ paar Leute … wir sind auf der guten Seite!“ – das klingt wie die Vorüberlegung zu „Wir müssen nur wollen“ und ist eine Hymne. Beim Zelebrieren der Hymne allerdings zickt der Drumcomputer und die Sportfreunde reagieren darauf mit einem Lächeln. Wie sie überhaupt für alles ein Lächeln übrig haben: „Der Schluss war etwas seltsam.“ sagt Sänger Peter. „Der Flo hat etwas ausprobiert.“
Das alles wirkt locker und sympathisch. Und bleibt doch so unverbindlich wie der 28-jährige Fußballtrainer, von dem man sich zu F-Jugendzeiten als neunjähriger immer dachte: „Der ist aber nett.“ Klaus Irler