Zu Kündigungsgehilfen degradiert

Bundesarbeitsgericht hat klammheimlich gravierendes Urteil zur Weiterbeschäftigung bei Kündigungen gefällt: Betriebsrat muss namentlich Alternativpersonen nennen, „die sozial weniger schützenswürdig“ sind

„Betriebsräte müssen sicherheitshalber ihre bisher geübte Praxis überdenken“, sagt ein Arbeitsrechtsexperte

Betriebsräte aufgepasst! Wenn ein Widerspruch gegen eine Kündigung nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) formuliert und dabei die soziale Auswahl bemängelt werden muss, müssen neuerdings nicht mehr nur die klassischen Gründe dargelegt werden: Wird keine Alternativperson zum Rausschmiss vorgeschlagen, verliert der Betroffene im späteren Kündigungsschutzverfahren seinen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung (§102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG). Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Revision gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm am 19. Juli 2003 beschlossen, die konkrete Begründung wurde aber erst kürzlich veröffentlicht. Tausende Gekündigte werden nun im Arbeitsgerichtsverfahren wegen fehlerhafter Widersprüche von Betriebsräten ihr Recht auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtsbindenden Entscheidung durch das Landesarbeitsgericht verlieren – so auch die beiden Fotografen der taz hamburg.

In einer Zeit, in der offen über die Abschaffung des Kündigungsschutzes diskutiert wird, hat das BAG einen Beitrag geleistet, der betrieblich verheerende Folgen haben kann: MitarbeiterInnen könnten direkt gegeneinander oder zumindest gegen ihre Betriebsräte ausgespielt werden.

Der Entscheidung liegt ein klassischer Fall zugrunde. Mehreren Mitarbeitern war betriebsbedingt gekündigt worden. Im Anhörungsverfahren waren dem Betriebsrat soziale Daten von nicht Betroffenen vorenthalten worden. Der Betriebsrat formulierte klassische Widersprüche nach §102 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. In dem konkreten Fall habe der betroffene Arbeitnehmer als Familienvater ein Kind zu versorgen. Zudem habe er eine sehr lange Betriebszugehörigkeit und aufgrund seines Lebensalters wenig Perspektiven auf einen neuen Job – im Gegensatz zu anderen im Betrieb.

Für das BAG war dieser Widerspruch als Formfehler zu beanstanden. „Ein ordnungsgemäßer Widerspruch setzt voraus, dass der Betriebsrat aufzeigt, welche vom Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl nicht berücksichtigten Arbeitnehmer sozial weniger schützenswürdig“ sind, sagt das Gericht in seiner neuen Rechtsprechung. Der Betriebsrat müsse Arbeitnehmer, die zu Unrecht nicht in die soziale Auswahl einbezogen wurden, „konkret benennen oder zumindest anhand abstrakter Merkmale bestimmbar machen, um so die Fehlerhaftigkeit aufzuzeigen“.

Damit werden die Betriebsräte zu Erfüllungsgehilfen degradiert, da sie im Grundsatz eine unternehmerische Entscheidung nur noch absegnen, ohne eine betriebsbedingte Maßnahme durch ihren Widerspruch im Grundsatz in Frage stellen zu können. Denn wenn der Betriebsrat dem Antrag eines Unternehmers, Mitarbeiter X zu kündigen, mit der Begründung widerspricht, der Rausschmiss von Mitarbeiterin Y wäre sozial ausgewogener, kann er hinterher der Entlassung von Y nicht mehr widersprechen und diese könnte sich zu Recht vom Betriebsrat verraten fühlen.

Um es plastischer zu machen: Als dem Betriebsrat der taz hamburg die Kündigungsanträge der Berliner Geschäftsführung für die beiden Fotoredakteure auf den Tisch flatterten, hätte der Betriebsrat laut BAG alternativ schreibende RedakteurInnen benennen und zum Abschuss freigeben müssen.

„Diese Rechtssprechung des 5. Senats des BAG steht im Gegensatz zur überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, auch des für Kündigungsfragen zuständigen 2. Senats des BAG“, rügt Arbeitsrechtsexperte Klaus Bertelsmann. „Ob diese Veränderung, die für Arbeitgeber eine deutliche Erleichterung von Kündigungen darstellt, Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.“ Gleichwohl müssten Betriebsräte aber „sicherheitshalber ihre bisher geübte Praxis überdenken“. KAI VON APPEN