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Archiv-Artikel

„Er segelt da in handyfreier Zone“

Bremens pöpulärer Bürgermeister Henning Scherf (65) hat vom Segelboot aus – in einer Situation, in der er nicht erreichbar war – per Radiointerview verkündet, dass er doch nicht im Jahre 2005 aufhören will. Damit ist klar: Er ist der Spitzenkandidat der SPD für 2007. Aus der Partei gab es kaum ein Murren. Scherf entscheidet wie bei der Koalitionsfrage vor der letzten Wahl ganz allein in der SPD über die Richtlinien der Politik. Über seinen politischen Stil und die schwindende Bedeutung der SPD als Partei sprachen wir mit der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Karoline Linnert

„Ich habe in der SPD nur mit Leuten zu tun, die mir hinter vorgehaltener Hand sagen, wie schrecklich“

taz: Die Botschaft kam aus dem Eismeer: Henning Scherf will noch auf Jahre weiter Bürgermeister und damit SPD-Spitzenkandidat sein. Er hat das seiner Partei in einem Radio-Interview über Satellitentelefon verkündet. Der Stil dieser Politik wirft Fragen auf. Schon im Wahlkampf 2003 hatte Scherf ohne Rücksicht auf seine Partei die Fortsetzung der großen Koalition verkündet.

Karoline Linnert: Nein, am Anfang war das anders. Erst hat er gesagt: Ich habe meiner Partei versprochen, dass wir ohne Wahlaussage in die Wahl gehen. Das ärgert die immer, wenn ich die große Koalition so lobe. Das habe ich verstanden. Etwas Zeit verging, und dann kam die schlimme Hessen-Wahlniederlage, und dann hat er gesagt, er stehe nur für die große Koalition zur Verfügung. Da konnte die SPD nur noch „ja“ sagen.

Eigentlich hatte die SPD erklärt, es solle eine Beratung in der Partei geben über den Wechsel von Scherf zu seinem Nachfolger. Offenbar hat es mit ihm aber nie einen Termin gegeben. Er entzieht dieser Diskussion die Grundlage in einer Lage, in der er nicht erreichbar ist. Er segelt da in handyfreier Zone.

Ist über Scherfs Zukunft vorher in der SPD beraten worden? Nein, aber es haben ja alle geahnt. Nach seinen Versuchen, wegzukommen. Das war ja auch an allen Beratern vorbei. Als er sich ins Gespräch gebracht hat als Leiter der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, da hat er das ja selbst am Chef der Senatskanzlei, Reinhard Hoffmann, vorbei betrieben. Ich weiß nicht, ob er mit dem Staatsrat des Arbeitsressorts, Arnold Knigge, darüber geredet hat, der in Nürnberg im Aufsichtsrat sitzt. Und dann diese sonderbaren Bewerbungen um ein Ministeramt in der Bundesregierung in Berlin. Erst hieß es: Ich höre zur Halbzeit auf, ich will mich um die Familie und um die Enkelkinder kümmern. Dann hat sich dieser Mann offenbar mit seinem Ruhestand auseinandergesetzt und gemerkt, dass das für ihn nicht das Gelbe vom Ei ist. Dann bewirbt er sich in einer Weise, dass ich gedacht habe: Oh Gott, wie unangenehm, und dann verkündet er aus dem Eis: Ich bleibe.

Spielt irgend jemand in der SPD noch eine Rolle? Könnte jemand sagen: Wir wollen über unseren Spitzenkandidaten 2007 selbst einmal beraten? Nein, da hat doch keiner den Mut. Das gehört doch zu dem Debakel dazu. Ich habe in der SPD nur mit Leuten zu tun, die mir hinter vorgehaltener Hand sagen, wie schrecklich sie das finden. Die Sozialdemokraten drehen die Augen zum Himmel und sagen: wir furchtbar. Die Partei hat überhaupt nichts mehr zu sagen. Keiner tritt öffentlich auf und sagt: So geht das nicht. Niemand. Die Macht der einen hängt auch immer mit der Feigheit der anderen zusammen. Die SPD wird demonstrativ und öffentlich degradiert, sie lässt es sich gefallen.

Vor einem Jahr hätte man gesagt: Das hängt auch mit der schwachen Figur von dem SPD-Landesvorsitzenden Detlev Albers zusammen. Der neue Landesvorsitzende Carsten Sieling ist noch jung, der hat Zeit. Scherf ist zudem bekannt dafür, dass er für jeden, der es einmal gewagt hat, ihm in die Quere zu kommen, ein sehr gutes Gedächtnis hat. Sieling ist da nicht mutiger als Albers. Vielleicht geht es nach der inneren Struktur der SPD auch nicht anders. Die SPD als Partei wird weiter in Agonie verfallen. Wer soll denn motiviert sein, sich unter solchen Bedingungen zu engagieren? Die innerparteiliche Demokratie kommt zum erliegen. Und Henning Scherf ist das offensichtlich egal. Oder er hat jegliches Gespür dafür verloren.

Das ist grotesk: Warum ist er so populär? Populär wie kaum einer in der Bremer SPD-Geschichte? Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich muss man als Politikerin zur Kenntnis nehmen, dass die Kriterien in der Bevölkerung andere sind. Scherf beherrscht es wie kein Zweiter, richtige Symbole zusetzen. Bürgermeister Scherf, der Radfahrer zum Beispiel. Der bringt es, mit dem Auto nach Bremen-Nord zu fahren und da für ein paar hundert Meter aufs Fahrrad zu steigen und dann stolz angeradelt zu kommen. Und die Leute sind beeindruckt und liegen ihm zu Füßen. Solche Symbole scheinen zur Zeit wichtiger zu sein als die Frage: Kann der Senat einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen? Für uns ist es eine bittere Pille, zu erkennen, wie schwer es ist, mit Sachpolitik und mit Argumenten durchzudringen. Dass Herr Scherf mit seiner Nummer – für nix verantwortlich, immer freundlich, solange einem niemand wiederspricht – nochmal Mehrheiten gewinnt, wollen wir verhindern.

Gleichzeitig hat Scherf im Hintergrund Leute, die wichtige Weichen stellen. Das Thema Space Park wird ja offenbar nicht vom Wirtschaftsressort verhandelt, das zuständig wäre, sondern von der Senatskanzlei. Genauso wie die Spenden an die Günter Grass-Stiftung. Das gehört ja auch zu diesem monarchistischen Stil. Die Ressorts werden immer schwächer, und im Grunde regelt der Chef der Senatskanzlei alles, was von Bedeutung ist. Die Verwaltung im Rathaus ist stärker denn je. In Zeiten der Ampel-Koalition war das nicht so, da gab es starke Kompetenzen in den Fachressorts. Jetzt gibt es eine starke Senatskanzlei. Dennoch bleibt nichts von dem, was die an Mist bauen, an Scherf hängen. Das ist das Phänomen.

Zum Beispiel? Die ganzen wirtschaftspolitischen Flops und das Scheitern der Sanierungspolitik muss man doch auch Henning Scherf zurechnen. Er ist seit 25 Jahren im Senat und nie an etwas Schuld gewesen. Das ist doch sagenhaft.

Im Bildungs- und auch im Sozialressort wird derzeit alles umgekrempelt, was die letzten 20 Jahre als gut und sozialdemokratisch galt. Da war Scherf Fachsenator, in beiden Ressorts. Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass er in beiden Ressorts ein ziemliches Chaos hinterlassen hat. Weil der Mann ja nicht in Strukturen denkt. Der ist ja spontimäßig, der steht nicht für geordnete Verwaltungsverfahren und für Spielregeln, auf die man sich demokratisch einigt. Da ist doch heute dies und morgen das angesagt, da wird dem einen dies und dem anderen jenes versprochen, auch wenn es in sich widersprüchlich ist. Die Leute lieben es dennoch. Was er hinterlassen hat in den beiden Ressorts war schrecklich. Das Sozialressort hat sich an bestimmten Punkten immer noch nicht davon erholt. Aber auch das Hineinregieren der Senatskanzlei erfolgt so: Was nützt, wird gemacht, und was übermorgen ist, interessiert nicht.

Stichwort Eon-Spende: Da wurde offenbar dem Günter Grass viel versprochen und dann war kein Geld da. Die Günter-Grass-Stiftung war chronisch notleidend und irgendwann musste ein Scheck rüber, weil Henning Scherf offenbar zugesagt hatte, dass aus Bremer Mitteln etwas kommt. Kein Haushaltsausschuss hat darüber geredet und irgendetwas beschlossen.

Müsste die Eon nicht ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung bekommen? Darüber habe ich auch nachgedacht. Wegen der Günter-Grass-Spende nicht, das ist Sache des Senats, der das Haushaltsrecht gebrochen hat. Die 20 Millionen Euro sind ja bei der Eon als Betriebsausgabe gebucht. Die Finanzämter müssen prüfen, ob eine klassische Spende als Betriebsausgabe verbucht wurde, um Steuern zu sparen. Alles spricht dafür, dass es so gewesen ist. Es ging ja um die Halte-Verpflichtung der SWB-Aktien. Ich kenne kein Blatt Papier, auf dem ein Fachmann für den Senat mal erklärt hätte, wie viel die Bremer Rechte Wert waren, aus denen sich die Eon für diese 20 Millionen Euro herausgekauft hat.

Wie geht das jetzt weiter? Scherf kommt aus dem Eis zurück ...

Und dann haben sich alle daran gewöhnt, dass die Debatte um den Generationswechsel in der SPD vorbei ist. Es haben alle ja geahnt. Dass er das für die Partei so brüskierend machen würde – na ja, das spricht dafür, dass er auf diesem Ohr völlig taub ist.

Der SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen hat gleich mit dem Fuß aufgestampft und gesagt: Die Koalitionsfrage ist damit aber noch nicht entschieden ... Das macht ihn vielleicht sympathisch. Aber das wird doch genauso laufen wie bei der letzten Legislaturperiode. Dieser Bürgermeister, den keiner ankratzt, der sich an keinerlei Spielregeln hält, wird genauso wie es ihm in den Kram passt, was er für eine Koalition will. Er wird doch nicht einen aus der SPD fragen. Wen denn?? Henning Scherf steht für die große Koalition, das wird sich doch nicht ändern. Da hat die SPD nichts mehr zu entscheiden, wenn Scherf weitermacht und sich ihm niemand in den Weg stellt. Das bedeutet: große Koalition bis 2011 oder länger. Wenn die Grünen das verhindern wollen, müssen sie sich anstrengen, noch mehr überzeugend und stark zu werden.

Kommt das Geld, auf das Bremen mit Hinweis auf den Kanzlerbrief baut? Es gibt einen Brief des Bundeskanzlers, der versprich zu helfen, und das muss man ernst nehmen. Wir haben nie gesagt, dass der Kanzlerbrief nichts wert ist. Wir haben gesagt, dass er nicht 530 Millionen Euro wert ist, die Bremen haushaltsrechtlich korrekt als Einnahme für konsumtive Ausgaben verbuchen kann. Solche Einnahmen in den Haushaltsplan zu schreiben ist einfach lächerlich, und das ist auch keine buchhalterische Kampfposition. Bremen muss mit dem Kanzleramt über ein Bündel von Maßnahmen beraten. Dazu gehören Investitionshilfen, dafür gibt es verfassungsrechtliche Grundlagen, dazu gehört Unterstützung bei einer möglichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die kommen wird. Wir müssen nur abwarten, wie das Verfassungsgericht die Klage von Berlin beurteilt. Und ich sehe es nach wie vor als Chance, mit den anderen Stadtstaaten zu kooperieren. Die enge Connection Scherf-Stoiber ist meines Erachtens ein strategischer Fehler, wir müssen uns mehr mit den ärmeren Bundesländern zusammentun und mit den Stadtstaaten.

Aber ein verfassungskonformer Haushalt kommt dabei nicht heraus?Nein, das ist allen klar.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes hat mehrfach in Interviews deutlich gemacht, dass erfür eine deutliche Reduzierung der Zahl der Bundesländer ist. Hat eine Klage Bremens da überhaupt eine Chance?Wir haben keine andere Wahl. Auch der Präsident des Verfassungsgerichtes muss wissen, dass vor einer Neugliederung des Bundesgebietes Volksabstimmungen stehen. Warum die Bremer und die Niedersachsen da zustimmen sollen, das ist nicht nachvollziehbar. Das Problem ist das Reichtumsgefälle in Deutschland, das wird durch eine Länderneugliederung nicht verändert. Bremen hat keine andere Möglichkeit, als es erneut mit einer Klage zu versuchen.

Fragen: Klaus Wolschner