Fischers Solo für die Arbeitgeber

Der Koalitionsstreit um die so genannte Bürgerversicherung ist entbrannt. Während die SPD noch nicht entscheidet, wollen die Grünen „diskutieren“

Es soll ja nicht so aussehen, als ob einFischer-Wort genüge, um sämtliche Parteitagsbeschlüsse der Grünen aus der Vergangenheit für null und nichtig zu erklären

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Dass sich der Außenminister wieder für die Innenpolitik interessiert, ist schön für die reformbesessenen Grünen. Schließlich haben sie keinen anderen, dem es gelänge, ihr neues Lieblingsthema „Bürgerversicherung“ so wirksam zu pushen. Seit sich Joschka Fischer in die Niederungen des deutschen Krankenversicherungssystems begeben hat, dominiert er die Debatte – in Medien wie dem Handelsblatt, wo er bereits gleichrangig mit den Experten Rürup und Lauterbach behandelt wurde, in der eigenen Partei und in der Koalition.

Auch die SPD beginnt inzwischen, sich mit dem neuen Modewort „Bürgerversicherung“ anzufreunden. Die Diskussion habe „Fortschritte gemacht“, ließ SPD-Generalsekretär Olaf Scholz gestern wissen. Vielleicht sogar noch in dieser Legislaturperiode könne man über die Einführung einer Bürgerversicherung reden. Kaum vorstellbar, dass die Sozialdemokraten das Thema so ernst nähmen, wenn sich der Vizekanzler nicht dafür engagieren würde.

Die Sache hat nur einen Haken: Nicht alles, was Fischer zu sagen hat, gefällt allen in der eigenen Partei. Vor allem sein Vorstoß, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag „einzufrieren“, stieß auf heftigen Protest.

Linke Grüne wie die nordrhein-westfälische Ministerin Bärbel Höhn warnten sofort vor einer Abkehr von der paritätischen Finanzierung. Um die Wogen erst einmal zu glätten, wurde in der gestrigen Parteiratssitzung beschlossen, Fischers Vorschlag erst einmal zu „diskutieren“.

So viel Demokratie muss schon noch sein. Es soll ja nicht so aussehen, als ob ein Fischer-Wort genüge, um sämtliche Parteitagsbeschlüsse der Grünen aus der Vergangenheit für null und nichtig zu erklären – auch wenn es manchen Grünen in Berlin mit den Reformen gar nicht schnell genug gehen kann.

Dem Vernehmen nach wollten die beiden Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager ursprünglich eine weitergehende Formulierung durchsetzen, also eine Vorfestlegung des Parteirats auf eine Entlastung der Arbeitgeber. Doch schon am Wochenende wurde viel herumtelefoniert – und Parteichef Reinhard Bütikofer musste feststellen, dass es auch in seiner Partei „ähnliche Kritikpunkte gibt, wie man sie auch aus der SPD und vom DGB hört“. Der Ausstieg aus der Parität, so machten ihm einige grüne Landespolitiker deutlich, sei „sozial einseitig“ und so nicht akzeptabel.

Auch in der Parteiratssitzung, dem obersten Gremium zwischen den Bundesdelegiertenkonferenzen, wurde gestern noch „ganz schön gepoltert“, wie Teilnehmer berichten. Nicht allen gefiel Fischers Solo für die Arbeitgeber. Vor allem Umweltminister Jürgen Trittin habe auf „die Stimmung in der Partei hingewiesen“.

Inhaltlich äußerten neben Bärbel Höhn auch Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke und die Thüringer Landeschefin Astrid Rothe Bedenken. Die frühere Parteichefin Claudia Roth war nicht in Berlin, hatte ihre Kritik aber schon vorher zum Ausdruck gebracht.

Verabschiedet wurde ein typisch grünes Papier, mit dem alle leben können: ein „Diskussionsvorschlag“. Der Parteirat hat Fischers Vorschlag nicht übernommen, aber immerhin zur Diskussion gestellt. Bis 2004 soll nun in der Partei über die verschiedenen Konzepte beraten und debattiert werden. „In allen Gliederungen“, wie Bütikofer ankündigte – vom Kreisverband Neu-Ulm bis zum Bundesvorstand. Erst dann soll ein Parteitag beschließen, was genau die Grünen wollen. Der innerparteilichen Demokratie wurde also Genüge getan.

Nebenbei gelang es den Radikalreformern jedoch, einige Pflöcke einzurammen. „Aus unserer Sicht soll es beim Umstieg zur Bürgerversicherung bei der gegenwärtigen Beitragsbemessungsgrenze bleiben“, heißt es in dem Parteiratsbeschluss.

Auf Deutsch: Gutverdiener müssen nicht mehr zahlen, wenn die Bürgerversicherung kommt. Wer sich von dem neuen grünen Lieblingsprojekt also eine Umverteilung nach unten versprach, wird deutlich zurückgepfiffen. „Die Einführung des Sozialismus über die Krankenversicherung“ komme nicht in Frage, so Bütikofer.

Nun erwarten die Grünen erst mal „eine Positionierung der SPD“. Äußerungen der vergangenen Tage stimmten ihn optimistisch, dass es zu einem Schwenk in Richtung Bürgerversicherung komme, sagte Bütikofer. Eine Entscheidung solle vor der Bundestagswahl 2006 getroffen werden. Dazu hat sich die SPD Scholz zufolge noch keine abschließenden Gedanken gemacht. Zur Reform der Sozialsysteme will der Parteivorstand am 29. September seinen Leitantrag für den Parteitag im November beschließen.

Sozialministerin Ulla Schmidt betonte, die Debatte stehe noch am Anfang, die Konzepte seien alle noch nicht ausgegoren. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer befürwortete die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten sowie die Anrechnung weiterer Einkommensarten, lehnte ein Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge aber als unsolidarisch ab. Die FDP lehnte eine Bürgerversicherung als „Mogelpackung“ ab. Sie führe zu „Staatsmedizin und Einheitskasse“, löse aber keine Probleme, erklärte das Parteipräsidium.