piwik no script img

Archiv-Artikel

welthandel Auf gleicher Augenhöhe

Da ist sie nun, die neue multipolare Welt. Bei der Welthandelstagung im mexikanischen Cancún sind EU und USA an einer Einheitsfront der mächtigsten Entwicklungsländer abgeprallt. Die Gruppe, zu der unter anderen Brasilien, Südafrika, Indien und China gehören, ließ den WTO-Gipfel lieber platzen, statt sich den Forderungen der reichen Industrienationen unterzuordnen. So rückt die Konfrontation zwischen Nord und Süd ins Zentrum der Weltpolitik.

Kommentarvon DOMINIC JOHNSON

Dass sich bei diesem Gipfel Vertreter reicher und armer Länder auf gleicher Augenhöhe begegneten, ist ein symbolischer Sieg für alle Befürworter globaler Gerechtigkeit. Und es ist ein Beweis dafür, dass Globalisierung eine fortschrittliche Angelegenheit ist. Die globale Politik wird vielfältiger und unberechenbarer. Immer mehr Menschen treten auf internationaler Ebene für ihre Interessen ein. Vor zehn Jahren noch hätten Minister aus Burkina Faso, dessen Baumwollbauern unter der Verzerrung ihrer Wettbewerbsbedingungen durch US-Subventionen leiden, auf das Kungeln der Reichen hinter verschlossenen Türen vertraut. Heute sprechen sie für sich selbst. Und bei solchen Prozessen bilden sich unzählige neue Koalitionen und Allianzen.

Wer jetzt Rückschläge für die Weltwirtschaft befürchtet, hat sicherlich trotzdem Recht. Genauso wie die alte Konfrontation zwischen Ost und West über Jahrzehnte die Weltpolitik verzerrte und lähmte, kann die zwischen Nord und Süd zu neuen Eiszeiten führen. Eine multipolare Welt, in der keine Macht eine andere überfahren kann, blockiert sich automatisch selbst, sobald die Mächte nicht alle der gleichen Meinung sind, aber eine für alle verbindliche Entscheidung getroffen werden muss.

Das war in Ordnung, solange es angesichts von Wettrüsten und ideologischer Konfrontation am besten war, wenn rivalisierende Lager einander neutralisierten und gar nichts passierte. Heute aber geht es angesichts des zunehmenden globalen Wohlstandsgefälles nicht darum, Entscheidungen zu verhindern, sondern darum, sie zu ermöglichen. Nicht Sturköpfigkeit ist gefragt, sondern Kreativität.

Wenn also die reichen Länder jetzt unter Verweis auf die andere Seite jegliche Flexibilität verweigern sollten, hätten sie damit lediglich bewiesen, dass sie noch nicht im Zeitalter der globalen Politik angekommen sind. Anders als die Länder des Südens, deren Bewohnern schon lange eine Anpassungsfähigkeit abverlangt wird, von der die Industrienationen nichts wissen wollen.