Scheitern ist große Klasse

Internes Behördenpapier legt mit neuen „Organisationsfrequenzen“ hohe Klassenstärken für alle Schulformen fest. Scheitern von vier Schülern pro Klasse im Gymnasium fest einkalkuliert. Hohe Frequenzen auch in Grund-, Haupt- und Realschule

von KAIJA KUTTER

In Lehrerkreisen kursiert ein Papier aus der Bildungsbehörde, das es in sich hat. Erstmals wird auch das Scheitern von Schülern organisatorisch festgeschrieben und fest einkalkuliert. Zudem werden die sehr hohen Klassenstärken, die Hamburgs Schulen zu Beginn dieses Schuljahrs vermeldeten, zur Normalität erklärt. So dürfen Grundschulklassen 27 bis 29 Schüler haben und Gymnasialklassen in Stufe 5 sogar 31 Schüler.

Ursprünglich, bis zu diesem Sommer, gab es so genannte „Orientierungsfrequenzen“, die je nach Schulform zwischen 25 und 26 schwankten und maximal um 10 Prozent überschritten werden durften – dafür bekamen die Schulen dann aber 10 Prozent mehr Lehrerstunden. Völlig unberührt davon wurden bei Bedarf Förderstunden wie „Deutsch als Zweitsprache“ vergeben.

Seit August ist alles anders. Zusammen mit dem Lehrerarbeitszeitmodell wurden die Bedarfsgrundlagen um 3,5 Prozent abgesenkt und so genannte „Basisfrequenzen“ eingeführt, die ganz toll aussehen, weil sie niedriger liegen und zwischen 19 und 24 Schülern pro Klasse schwanken. Allerdings wird bei Erreichen dieser Größen nur der Grundunterricht ohne eine einzige Teilungsstunde erteilt, die gibt es erst bei größeren Klassen.

Der Bildungsbehörde bereitet die bloße Festlegung dieser „fiktiven Untergrenze“ offenbar Probleme, da eine „strukturelle Lücke“ ensteht, wie es in dem Papier heißt. Deshalb werden nun die alten Frequenzen in „Organisationsfrequenzen“ umbenannt und zugleich erhöht. Allerdings handelt es sich bei den neuen Zahlen um „absolute Höchstgrenzen“ auf deren Einhaltung die Schulaufsicht künftig achten soll.

Neu ist, dass es zwei Werte gibt: einen für den Schuljahrsanfang und einen für das Ende. Diese unterscheiden nach Schulform und -stufe. So dürfen Gymnasien 31 (!) Fünftklässler aufnehmen, zum Ende des 6. Schuljahrs dürfen es dann aber nur noch 27 sein. Auch in der Mittelstufe ist ein Schwund von über 10 Prozent fest einkalkuliert. Umgekehrt dürfen die 5. Klassen an Haupt- und Realschulen höchstens mit 27 Schülern starten, um Platz für drei gescheiterte Gymnasiasten zu lassen. Dieselben Abstiege werden in der Mittelstufe eingeplant (s. Kasten).

„In dem Papier spiegelt sich die Absicht der Bildungsbehörde wieder, verstärkt von oben nach unten auszusortieren“, kritisiert GEW-Sprecherin Ilona Wilhelm, die zudem die hohen Klassenstärken für inakzeptabel hält, da infolgedessen künftig noch mehr Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen. Wilhelm: „Bei 30 Schülern kann man weder individuell fördern noch fordern, schon gar nicht in der Hauptschule.“ Klassenstärken in dieser Größe widersprächen zudem allen wissenschaftlichen Erkenntnissen: „Alle Pisa-Sieger-Länder haben kleine Klassen.“