: Das Ende der Schnittchenzeit
Katerstimmung am einst so frivolen Medienstandort Hamburg. Viele Verlage zieht‘s in die Hauptstadt. Journalisten-Verband sieht Hamburg „nachhaltig gefährdet“
Jetzt wäre es wieder so weit: Im gediegenen Restaurant „Schöne Aussichten“ würden sich Stars und Sternchen mit namhaften Vertretern der Hamburger Klatschpresse gepflegt einen hinter die Binde kippen. Bei Schampus und Schnittchen würden Kontakte gepflegt, Insider-Infos ausgetauscht und noch das eine oder andere Tanzbein geschwungen.
Doch damit ist wohl endgültig Schluss. Das beliebte Schwartzkopff-Sommerfest der gleichnamigen TV-Produktionsfirma, das seit 1996 stets um die 600 Gäste zählte, muss in diesem Jahr wegen der zu hohen Kosten (30.000 Euro) ausfallen.
Heute steht dem Unternehmen, das einst mit Quotenrennern wie „Andreas Türck“, und „Franklin“ Millionen verdiente, das Wasser bis zum Hals. Lediglich die „Lustigen Musikanten“, das Charity-Event „Ein Herz für Kinder“ und der Nachmittagstalk „Britt“ laufen noch unter der Regie der Hamburger Springer-Tochter. Aber selbst „Britt“ ist zum Absprung bereit: Wenn der Vertrag zum Jahresende ausläuft, und SAT.1 die Ausstrahlung nicht kappt, will diese laut Insidern die Produktion selbst übernehmen. Jetzt kreisen offenbar die Pleitegeier über der Helbingtwiete, lange Zeit Sitz der Geschäftsführung. Von den einst 200 Mitarbeitern sind nur noch 45 verblieben, täglich müssen Angestellte mit Kündigungen rechnen. Die Unternehmensleitung liebäugelt dem Vernehmen nach mit einem Umzug nach Berlin. Da klingt es wie purer Zynismus, dass Geschäftsführer Carsten Röder jetzt die Umbenennung der Firma in „Schöne Aussichten TV“ plant.
Auch bei der Konkurrenz werden die Koffer gepackt – wenn auch aus anderen Gründen. Das expandierende Unternehmen „Me, Myself & Eye“ (“Top of the Pops“) verlässt den Elbe-Standort und geht nach Berlin. Verantwortlichen zufolge soll nur ein „Rumpfteam“ in der Ex-Zentrale zurückbleiben. MME folgt damit dem Musikgiganten Universal, bei dessen Umzug in die Hauptstadt 500 Arbeitsplätze auf der Strecke blieben, und auch dem Springer Verlag (Stellenreduzierung: 15 Prozent), der den Sitz der Geschäftsleitung und Die Welt nach Berlin verlegte.
Eine aktuelle Veröffentlichung des deutschen Journalisten-Verbandes Hamburg (DJV) passt zur Katerstimmung wie das Kaviarhäufchen auf die Lachsschnitte. Der Verband warnt darin vor einem „dramatischen Arbeitsplatzverlust“ von zusammen 250 Stellen durch eine drohende Verknappung in den Online-Zweigen der klassischen Hamburger Medienhäuser: Darunter womöglich die Schließung des „G+J Kontor Vision“ (80 Mitarbeiter), Einstellung des „Net Business“ (40), Personalreduzierung bei „Tomorrow“ (20), Entlassungen im MME-Online-Bereich (40), Schließung einer Entwicklungsredaktion im Bauer-Verlag (40) und die erwarteten „Synergieeffekte“ bei der Fusion der „Tomorrow Internet AG“ mit „Focus Digital“ (40). Der DJV jedenfalls sieht „den Medienstandort Hamburg nachhaltig gefährdet“. Ina Freiwald