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Archiv-Artikel

Der Fall des Hauses Uzan

Mit der Gründung einer eigenen Partei hat der Clan eine rote Linie überschrittenDie Uzans wollen das wiederholen, was Berlusconi in Rom vorgemacht hat

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Zehn Tage lang hatte ein Spezialteam der Polizei Kemal Uzan und andere führende Mitglieder seines weit verzweigten Clans bereits beschattet. Sie standen vor seiner Villa und begleiteten ihn zur Zentrale seines Wirtschaftsimperiums in Istanbul. Als dann endlich der Staatsanwalt grünes Licht für den Zugriff gab, düpierte sie der Clanchef dennoch. Während ein bewaffnetes Sonderkommando das Foyer des Gebäudes besetzte und die Aufzüge enterte, starteten Kemal Uzan, sein Bruder Yavuz und sein Sohn Hakan vom Dach mit dem Hubschrauber. Seitdem sind sie verschwunden.

Was sich liest wie der fehlgeschlagene Versuch, einen Mafia-Clan hochzunehmen, ist der bisherige Höhepunkt in einem der spannendsten Wirtschaftskrimis, den die Türkei je gesehen hat. Kemal Uzan ist alles andere als ein klandestiner Mafioso, auch wenn ihm viele Mafia-Methoden vorwerfen. Er ist Chef eines der größten türkischen Firmenkonglomerate, dem außer dem zweitgrößten Handynetz Telsim Fernsehsender, die größte Boulevardzeitung und mit der Genc Parti sogar eine politische Partei gehören. Hochgekommen ist der öffentlichkeitsscheue Selfmademan, der als kleiner Bauunternehmer startete, in den 80er-Jahren. Uzan hat sich den Ruf als skrupelloser, korrupter Unternehmer vor allem durch umstrittene Akquisitionen ehemaliger Staatsbetriebe erworben. Der heute 71 Jahre alte, milliardenschwere Patriarch ist seit Ende August auf der Flucht. Seine Konten, auch die in der Schweiz, sind inzwischen eingefroren. Der Staat hat nicht nur seine Luxusjacht, seine Ferieninsel und seine Privatfarm beschlagnahmt, sondern vor allem seine Bank unter staatliche Aufsicht gestellt und ihm diverse Lizenzen für den Betrieb von Kraftwerken entzogen.

Wieso das alles, fragt sein ältester Sohn Cem Uzan, Chef der Genc Parti, zu Deutsch Jugend-Partei, und hat natürlich auch eine Antwort darauf: Der türkische Ministerpräsident ist schuld. „Tayyip Erdogan will meine Familie kaputtmachen, weil die Genc Parti seine einzige ernsthafte Konkurrenz ist“, sagte er gegenüber dem amerikanischen Time Magazin.

Cem Uzan ist der einzige aus dem engeren Familienkreis, der noch die Stellung hält. Der 43-Jährige versucht sich als Opfer zu inszenieren, was ihm aber niemand abnimmt. Bei seinen politischen Auftritten gibt er sich äußerst aggressiv, auch im Umgang mit Mitarbeitern gilt er als beinhart. Ehemalige Mitschüler des Absolventen der Deutschen Schule in Istanbul haben ihn als ausgesprochenen „Kotzbrocken“ in Erinnerung. „Der hat die Füße auf den Tisch gelegt und den Lehrern gesagt, dass sie den Mund halten sollen, schließlich bezahle sein Papa sie ja“, erinnert sich ein ehemaliger Klassenkamerad. Als Parteichef ist Cem Uzan jedoch erfolgreich. Die von ihm im letzten Jahr gegründete und vom Geld des Uzan-Clans lebende Genc Parti hat zwar im letzten November mit 7 Prozent noch den Einzug ins Parlament verpasst, doch heute, nach tatkräftiger Unterstützung durch die Uzan-Medien, liegt sie laut Meinungsumfragen bereits bei 15 Prozent. Ihre Erfolgsmasche ist einfach: Sie gebärdet sich trotz ihres Milliardärs an der Spitze als Rächer der Enterbten, verspricht, den Internationalen Währungsfonds aus dem Land zu werfen, die Türkei aus der Versklavung durch die EU herauszuführen und endlich die Interessen der Türken wieder an die erste Stelle zu setzen.

Wem das zu abstrakt ist, der kommt bei Veranstaltungen in den Genuss kostenloser Mahlzeiten oder eines Konzerts von Ibrahim Tatleses, dem berühmtesten Schmalzsänger des Landes. Zumindest im dumpf nationalistischen Segment der Wählerschaft ist die Genc Parti eine echte Konkurrenz für Erdogans AK Parti geworden, und auch wechselseitige persönliche Angriffe zwischen Cem Uzan und Tayyip Erdogan lassen den Verdacht, hier soll eine unliebsame Konkurrenz ausgeschaltet werden, nicht ganz abwegig erscheinen.

Jedenfalls hat der Uzan-Clan mit der Gründung einer eigenen Partei eine rote Linie überschritten, die Wirtschaftstycoons in der Türkei bis dahin noch respektiert hatten. Während sich die Großkonzerne wie anderswo auch damit begnügten, politische Entscheidungsträger zu kaufen oder über hauseigene Medien zu beeinflussen, wählten die Uzans den italienischen Weg – Cem Uzan möchte in Istanbul wiederholen, was Berlusconi in Rom vorgemacht hat. Doch die Gründung der eigenen Partei erfolgte nicht aus einer Position der Stärke, der Clan stand finanziell mit dem Rücken zur Wand.

Ein erbitterter Wirtschaftskrieg mit dem größten Medienzaren des Landes, Aydin Dogan, und ein Rechtsstreit mit Motorola und Nokia um Milliarden Dollar hatten die Uzans immer mehr in die Ecke gedrängt. Bei dem Verfahren in New York geht es um Telsim, das Handynetz der Uzans. Die beiden Konzerne hatten für seinen Aufbau Mitte der 90er-Jahre Ausrüstungsmaterial und Know-how im Wert von knapp 2 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Motorola erhielt dafür 66 Prozent der Telsim-Aktien. Als die Uzans jedoch über eine komplizierte Transaktion das Kapital der Gesellschaft so weit aufstockten, dass Motorolas Aktienanteil nur noch 22 Prozent betrug und überdies die Bedienung des Kredits einstellten, fühlten sich die beiden Firmen ausgetrickst. Ende Juli verurteilte das New Yorker Gericht die Uzans in erster Instanz zur Zahlung von 2 Milliarden Strafe plus 2 Milliarden Schadenersatz an Motorola und Nokia – in Dollar wohlgemerkt.

Zu diesem Zeitpunkt waren weitere Katastrophen über die Familie gekommen. Im Juni entzog das Energieministerium dem Uzan-Konzern die Konzession zum Betrieb zweier großer Kraftwerke, die den Industriegürtel um Adana und Mersin im Süden der Türkei als Monopolisten mit Strom beliefert hatten. Als Grund wurden schwere, anhaltende Verstöße gegen den Konzessionsvertrag geltend gemacht. Mit dem Geld aus den Stromkonzernen hatten die Uzans die Liquidität ihrer Imar-Bank sichergestellt, die für ihre aggressive Geschäftspolitik und extrem hohe Zinsen an private Anleger bekannt war. Die Bank geriet prompt in die Krise und wurde im Juli unter Zwangsverwaltung gestellt. Nachdem die Staatsanwaltschaft Kemal, Yavuz und Hakan Uzan, die alle im Vorstand der Imar-Bank sitzen, mehr als zwei Wochen lang vergeblich zu einer Vernehmung über die Geschäftspraktiken der Bank vorgeladen hatte, erließ sie den spektakulären Haftbefehl.

Ein Schritt, der noch vor kurzem unvorstellbar war. Die Uzans gehörten in der Türkei seit Mitte der 80er-Jahre zu den „Unantastbaren“. Zu ihrer besten Zeit wurden die Straßen gesperrt, wenn sie gemeinsam mit dem damaligen Ministerpräsidenten Turgut Özal in einer Kolonne schwarzer Mercedes-Limousinen vom Flughafen zum Anleger ihrer Yacht im Golf von Fethiye rasten. Die Uzans, eine Familie, die ursprünglich aus Bosnien stammt, waren Vorzeigeindustrielle von Özal, der die Türkei für den internationalen Markt öffnete und seinen Landsleuten zurief: Werdet reich, werdet Kapitalisten. Mit billig erworbenen Staatsbetrieben und fetten Staatsaufträgen zählten die Uzans zu den meistbegünstigten Familien der Türkei. Einer ihrer größten Coups war die Gründung des ersten privaten Fernsehkanals Star TV, an dem Cem Uzan den Sohn des Präsidenten Ahmet Özal beteiligte.

So gut waren die politischen Beziehungen der Uzans zwar schon lang nicht mehr, doch so rigoros wie gegen sie wurde gegen kaum einen der vielen Bankiers vorgegangen, der seit dem Wirtschaftskollaps vor zwei Jahren pleite ging. Was ein Teil der Presse als großen Erfolg gegen die Korruption feiert, wird von anderen Kolumnisten vor allem als Sieg des Dogan-Konzerns über die Uzans interpretiert (siehe Kasten).

Weil die großen Konzerne noch immer viel Geld mit Staatsaufträgen machen oder bei der Privatisierung großer Staatskonzerne zum Zuge kommen wollen, gehört Einfluss auf die öffentliche Meinung und damit auf die Politik zum Geschäft. Das ist das Erfolgsgeheimnis des ehemaligen Autoverkäufers Aydin Dogan, der seine Zeitungen Hürriyet und Milliyet seit langem dazu missbraucht, seine anderen Geschäfte zu befördern. Sein größter Clou war der Erwerb des staatlichen Tankstellennetzes mit Krediten einer staatlichen Bank. Ein Nullsummenspiel für Dogan, das er nun bei dem staatlichen Petrochemie-Konzern Petkim wiederholen wollte. Doch Anfang Juni erhielten überraschenderweise die Uzans den Zuschlag für Petkim, den sie mittlerweile allerdings wieder verloren haben, weil sie die fälligen Überweisungen nicht mehr aufbringen konnten. Man erwartet, dass Dogan jetzt doch zum Zuge kommt.

Der eigentliche Gewinner des Niedergangs der Uzans ist Dogan aber selbst dann, wenn es mit der Petrochemie nicht klappt. Seine Zeitungen werden noch mächtiger, solange die Führung des wichtigsten Konkurrenten sich auf der Flucht befindet beziehungsweise im Knast endet. Doch auch Tayyip Erdogan dürfte über die Entwicklung nicht unglücklich sein, denn schon seit Monaten kommt seine Regierung in den Dogan-Medien auffallend gut weg. Bei den Kommunalwahlen im nächsten Frühjahr wird sich das auszahlen.