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Archiv-Artikel

Dolce Vita auf der Brache

„Landreform“ heißt das aktuelle Projekt des Skulpturenparks. Wer die Kunst genießen will, muss bereit sein, genau hinzusehen

VON DIRK HAGEN

Funktionale Bürobauten, riegelartige Wohngebäude, dazwischen eingezäunte Parzellen mit verwildertem Brachland. Auf einer Werbetafel preist ein Immobilienentwickler den demnächst hier entstehenden Neobarockstil für Gutbetuchte an. „Dolce Vita“, so verspricht die Werbefloskel, soll dann zwischen Kreuzberg und Mitte, zwischen Alter Jakobstraße und Kommandantenstraße, entstehen. Ein Bagger arbeitet sich schon mit viel Lärm an eines der letzten noch unbebauten Areale heran. Hier verlief einst die Mauer, wo man heute den „Skulpturenpark Berlin_Zentrum“ findet.

Tritt man vom Bürgersteig an eines der eingezäunten Grundstücke heran, hört man eine schwache Stimme. Im Flüsterton werden Statements zur Stadtentwicklung oder Werbesprüche von Immobilieninvestoren verlesen. Die Lautsprecher sind kaum zu erkennen, sie sind in Bäumen oder hinter Werbetafeln versteckt. Trotzdem wirkt die Brache völlig unbenutzt. Pflanzen wuchern, Steine liegen herum. Ein Park mit Skulpturen? Davon ist hier erst einmal nichts zu sehen. Zur vollen Stunde jedoch entspringt aus der verwilderten Parzelle eine kleine Wasserfontäne. Am Abend schimmert aus Mauseloch-kleinen Öffnungen im Boden Licht heraus. Solche still und subtil wirkenden Installationen werden im „Park“ anstelle von mit großer Geste daherkommenden künstlerischen Skulpturen fast wie zufällig geboten. So kommen die Arbeiten, Teil von „Landreform“, der aktuellen Projektserie des „Skulpturenparks Berlin_Zentrum“, unscheinbar daher und bilden so den Kontrast zur vielgeschossigen Umgebung.

Am Anfang war das fünf Hektar große Areal des ehemaligen Mauerstreifens in Mitte für Philip Horst und Daniel Seiple bloß „eine urbane Freifläche“, „ein schönes Gelände“. Ideal für die gemeinsame Idee, „temporäre und ortsspezifische“ Kunst zu zeigen, so Harry Sachs. Sie organisieren zusammen mit Matze Einhoff und Markus Lohmann den Skulpturenpark nun schon seit über zwei Jahren. Mit „Landreform“ ist nun das komplette fünfköpfige Künstlerkollektiv mit eigenen Arbeiten auf dem Gelände vertreten.

Bis zu zehn Projekte kommen pro Jahr auf dem Gelände zur Realisierung. So waren an der Projektreihe „Spekulationen“, zwischen Herbst 2007 und Frühjahr 2008, insgesamt sechs auswärtige Künstler beteiligt. Darunter „The Single Room Hotel“ von Etienne Boulanger, ein eingeschossiger Bau aus Plakatwänden mit nur einem Zimmer. Das Projekt erhielt schnell weltweite Aufmerksamkeit. Schon nach einigen Tagen, nach Anfragen aus den USA und Australien, war das „Hotel“ ausgebucht. Im letzten Jahr wurde der Skulpturenpark Teil der fünften Berlin-Biennale.

Zuletzt war das fünfköpfige Künstlerkollektiv vom Skulpturenpark auf Einladung des Goethe-Instituts bei einer Veranstaltung in Pakistan vertreten. Die manchmal fast ironisch wirkende Herangehensweise der Berliner Installationen ist durchaus gewollt. Kleine, stille Aktionen werden gegenüber „Mega-Events“ bevorzugt. Denn: „Aufwerten für Investoren wollen wir das Gelände sicher nicht“, so Harry Sachs. Die Macher des Parks wollen einen Beitrag leisten zur ständigen Diskussion über die Nutzung solcher innerstädtischen Freiflächen. Das gilt auch für den „Stallschreiberblock“, einen breiten, sich größtenteils noch in öffentlicher Hand befindenden Grünstreifen, der kurz vor der Bebauung steht. Eingerahmt von Westberliner Sozialbauten und einer grauen Schule aus DDR-Zeiten wehen mitten auf dem Gelände elf Flaggen im Wind. Davor steht eine Holztribüne. Das Ganze ähnelt ein wenig der architektonischen Symbolik Olympischer Spiele. Die Fahnen gehören verschiedenen Interessengruppen, wie Hundevereinen, Gemeinschaftsgärten oder BMX-Clubs, die so ihr Interesse an der Nutzung dieses Areals dokumentieren. Unter Trompetenklängen und von Choreografien begleitet wurden die Fahnen gehisst.

Die Nutzung der Flächen und Parzellen für die Projektserien findet dabei manchmal auch in einer rechtlichen Grauzone statt. Entweder gibt es überhaupt keine Ansprechpartner für die Parzellen – oder auswärtige Investoren haben kein Interesse an den Aktivitäten des Skulpturenparks. Die ständige Bedrohung durch eine Überbauung macht noch dazu ortsspezifische Aktionen und Installationen langfristig nur schwer planbar. Gerade diese ständige Veränderung des Areals wird von den fünf Künstlern des Skulpturenparks als Herausforderung angesehen. In den Arbeiten soll der Wandel der Flächen aufgenommen und integriert werden und sich so in neuen Installationen widerspiegeln. Trotz aller Hindernisse lautet dann auch das gemeinsame Motto des Künstlerkollektivs: Auch wenn irgendwann die letzte unbebaute Parzelle verschwunden ist: Wir machen weiter.

„Landreform“, noch bis zum 1. April