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Archiv-Artikel

Zurück zu den Wurzeln: René Polleschs ausgebrannter „Splatterboulevard“ im Schauspielhaus Absteigende Klasse

„Die Schlacht im Zimmer braucht eure Einbildung!“, ruft Gary Burns während seiner Geburtstagsparty und erschießt sich anschließend vor den Augen seiner Gäste. Der Autor und Regisseur René Pollesch kehrt mit Splatterboulevard, das jetzt am Schauspielhaus Premiere hat, zu seinen Wurzeln zurück. Nach einer langen Phase mit Theaternovelas über Globalisierung, Turbokapitalismus und Hysterie wendet sich Pollesch nun einem Genre zu, das er vor über zehn jahren schon einmal blutig beackert hat: der Boulevardkomödie. Splatterboulevard soll das herausheben, was an einer Boulevardkomödie das Hauptinstrument ist: Spritzige Dialoge, klar. „Spatterboulevard“, so erklärt Pollesch, „ist eine Straße, wo geschossen wird oder geschlachtet. Es ist Boulevardtheater mit Bluteffekten. Eigentlich bezieht es sich nur auf die formale Übertreibung.“

Die Gesellschaftskomödie Splatterboulevard ist bevölkert von Personen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Polleschs Figuren haben die Fähigkeit, das Elend der Welt bis zum Ende zu durchleben. Sie identifizieren die neuen Formen der politischen und sozialen Ausbeutung und bieten Befreiungsprozesse an. Nur dass hinter den Türen, wo die Freiheit vermutet wird, andere Fallen warten, glamourösere natürlich: Die Hysterie, das Kokain, der Oscar-Gewinn oder der zelebrierte Selbstmord. Nachdem sich Gary Burns erschossen hat, gerät die Feier aus den Fugen. Affären kommen ans Licht, ein Mord wird gestanden. Joanne beginnt wieder zu trinken, während die anderen Gäste nach dem Tresor suchen, in dem Gary brisante Papiere versteckt hat, außerdem taucht ein Quader gepresstes Kokain auf.

In Splatterboulevard greift René Pollesch das Genre der Gesellschaftskomödie auf. Allerdings parodiert er das bekannte Regelwerk nicht, sondern spielt damit. Das Bühnenbild und die Kostüme von Janina Audick sind aufgeladen mit Relikten einer verlorenen Kindheit, von Superneurosen und Psychosen. Splatterboulevard macht da weiter, wo Tennessee Williams seine längsten Regieanweisungen für die Damengarderobe niedergeschrieben hat. Pollesch arbeitet viel mit filmischer Wahrnehmung, mit Schnitten, die sich durch Textmontage ergeben, aber auch durch die Art der In–szenierung. durch schnelles Ping-Pong-Sprechen und akrobatische Anschlüsse wie in den „Ich schneide schneller“-Stücken.

Bei Pollesch handelt es sich um eine Art High-Tech-Sprechtheater, das größtenteils ohne technisches Gerät auskommt. Benutzt er es doch, werden die Maschinen entgegen ihrer Gebrauchsanleitung angewendet. Die Popkornmaschine wird zum Mörder-Katapult, der Schlafsack zur Wohnung und die Rodeomaschine zur Firma.

Pollesch reproduziert Wahrnehmungen nicht, indem er verschiedene Medien auf die Bühne stellt, sondern er transportiert Wahrnehmungsweisen wie Querlesen oder Zappen mit den Mitteln des Sprechtheaters auf die Bühne. Dadurch entstehen interessante Verfremdungseffekte. Die zerspitterte Struktur der Stücke ersetzt das Erzählen einer Geschichte durch eine Art Geschwindigkeitsrausch. Manchmal ist ein ganzer Satz die Pointe. Splatterboulevard orientiert sich an den Stücken Neil Simons‘ und an den Filmen Robert Rodriguez‘. Vorgestellt wird eine absteigende Klasse, die verzweifelte Anstrengungen unternimmt, ihre Ideale von Geld und Liebe aufrechtzuerhalten. Das Personal des Stückes sind die völlig Ausgebrannten, die super Überarbeiteten, die Turbo-Verbrauchten. Die Arbeitslosen arbeiten, die Schwarzarbeiter arbeiten, und die Arbeiter arbeiten natürlich auch. Splatterboulevard zeigt einen Teil der Gesellschaft nach der Arbeit, das Stück beschreibt die Krise nach dem Wanken des Kapitalismus. Es ist Dauerfeierabend, Prosecco Alarm im Elend des Privaten.

NIKOLA DURIC

Premiere: Fr, 19.9., 20 Uhr, Schauspielhaus