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Archiv-Artikel

Der Mut des Enthüllers

Günter Wallraff war zu Gast beim Internationalen Literaturfestival, das die Verfilmung seiner Reportagen zeigte. Der Einzige, der über die Stasi reden wollte, war er selbst

Der Anfang ist schon dramatisch: Die Kamera zeigt ein leeres, dunkles Studio. Dann die Spots, einer nach dem andern. Rhythmisch hastende Streicher setzen ein, aufgeregte Bläser, und zur Stimme aus dem Off streben Günter Wallraff und sein Interviewer auf die Studiosessel zu, energisch und im Takt: „Von rechts betrachtet ein Trickbetrüger, von links betrachtet ein Unternehmerschreck.“ In der Reihe „Literatur auf Celluloid“ im DDR-Fernsehen zeigt das Babylon den 1975 gedrehten Dreiteiler „Steckbrief eines Unerwünschten“, basierend auf drei Reportagen Günter Wallraffs.

Es scheint ein Abend der Konfrontationen: Da ist der Wallraff von 1975, da ist dessen Interpretation durch das DDR-Fernsehen, und da ist Wallraff heute, der vorn im halb leeren Kinosaal sitzt, nach dem Film zum Gespräch bereit. Er wolle „Dinge in Schweigezonen sichtbar machen“, sagt der Wallraff von 1975 im Interview. Warum diese Studiosituation so inszeniert erscheint, wird später deutlich: Der Interviewer, der den Kopf so verständnisinnig zur Seite neigt, ist der Schauspieler Jürgen Reuter, der in den erzählenden Episoden des Films den Wallraff spielt.

Diese folgenden Szenarien sind in ihrer Übertreibung sehr schwarzweiß: Das betriebsame Flirren der Arbeiter in der Filterfabrik im „Melitta-Report“, die kleinen Angestellten, die großen Direktoren in „Mahlzeit, Herr Direktor“ und das industrielle Imperium der Fürstenfamilie, das die Stadt Regensburg mit dem Taxis-Pils „Fürstengold“ überschwemmt. Das gibt den Reportagen bisweilen Ironisches mit, wo Schärfe gemeint war: „Kinokitsch“, war die Reaktion der westdeutschen Presse.

„Das war Realität“, sagt Wallraff heute, die Dialoge seien authentisch, wenngleich er im Film seine Aussagen zusammengekürzt sieht: „Das war mir schon klar, dass ich propagandistisch missbraucht werde.“ Im Westen war er „gesellschaftlich an den Rand gedrängt“. Hätte er im Osten gelebt, so Wallraff, sei er „vermutlich im Gefängnis oder der Psychiatrie gelandet“. Eine Figur des Außen, Anfeindungen ausgesetzt, „gerade jetzt auch wieder“. Der Einzige jedoch, der an diesem Abend über die aktuellen Stasi-Vorwürfe spricht, ist Wallraff selbst, mehrere Andeutungen macht er und schließlich gar eine Aufforderung, darüber zu sprechen. Im Kinosaal aber interessieren nicht die Anfeindungen, sondern der Mut des Enthüllers. Hier sitzen Bewunderer.

Ob es wegen der Reportagen schon einmal zum Prozess gekommen sei, will eine Zuschauerin wissen. Es ist zu vielen Prozessen gekommen, und nicht zuletzt daran lässt sich ablesen, dass Wallraff an empfindliche Stellen rührte. Ob es einen Nachfolger gebe? Er wünsche sich Nachfolger, sagt Walraff, schließlich sei „Öffentlichkeit Sauerstoff der Demokratie“. Doch ist die Enthüllung nicht längst zum Verfahren geworden, allein der Geste wegen, und hinter dem Vorhang dann: nichts? Sind es heute wirklich noch die Zonen des Schweigens, die das Problem sind – und nicht vielmehr die Allgegenwart des Geredes? Wenn es also einen Nachfolger gäbe, so scheint es, er könnte sich zwar auf Wallraffs Courage beziehen, seine Strategie aber müsste eine andere sein.   KATRIN KRUSE